
Dorfgeschichten, die in sich die Realitäten wie durch Magie verbergen. Der Roman spielt in einem kleinen Dorf, in dem die Zeit anders als in den Städten verläuft. Zumindest für die Dorfbewohner mit ihren Geschichten. Ein kleines Dorf in Bayern, das nicht weit von München entfernt gelegen ist. Die Nähe zum Wald und der bestehende Aberglaube erzeugen eine mystische Stimmung, denn etwas Düsteres, Unheimliches ist zurückgekehrt: der Krähenjunge. Vor ihm wird gewarnt, über ihn gibt es Sagenhaftes zu erzählen und er wirkt übersinnlich. Zumindest zieht er einige in seinen Bann, letztendlich auch uns, die von ihm lesen.
„Vom Krähenjungen“ ist ein Debütroman. Sonja Kettenring studierte, entwickelt Software und arbeitet als Postbotin. Sie schreibt aber lieber Geschichten als Programme. Somit wurde dieses poetisch-düstere Erwachsenenmärchen geboren und es flatterte als Manuskript in den Verlag, den ebenfalls der Krähenjunge mit seinen Zeilen abholen konnte.
Aus unterschiedlichen Perspektiven setzt sich das literarische Bild zusammen. Es sind individuelle Stimmen, Meinungen und Erlebnisse, die auf uns einwirken. Auch der Krähenjunge stellt sich vor. Sein Name ist Sam. Samuel Johann Weidenkamp. Samuel nach dem Propheten. Johann nach seinem Großvater. Dann beginnt der Roman wie in einem Märchen: „Es war einmal“.
Alles wirkt hierbei der Wirklichkeit enthoben. Die Landschaft wird durch den Winter bestimmt und verdeckt somit das Morastige mit weißer Klarheit. Diese Klarheit kann, wie in der kommenden Handlung, eine vorgetäuschte sein und sie verbreitet, wie der Krähenjunge, eine empfindliche Kälte. Das Dorf lebt von den Bewohnern, den Menschen. Alle kennen sich, aber kennen sich alle wirklich und was lauern in den Familien für Geschichten? Was ist das Erbe der Vergangenheit? Im Zentrum ist eine Bäckerei, die althergebracht das Brot und weitere Backwaren als Lebensmittelpunkt verkauft. In der Nähe liegt der Wald, ein düsterer Wald, der gleich dem See ein Eigenleben zu haben scheint. Der Wald gibt Wege frei, versteckt oder entscheidet über Pfade. Das Gewässer gefriert nicht und um den See ranken sich ebenfalls Sagen. Alle, die erzählen, haben mit Sam zu tun. Aus der Ferne, aus dem Erzählten und aus der unmittelbaren Begegnung. Das, was mystisch erscheint, ist verwurzelt in einer Familientragödie. Die Generationen erinnern sich und nun taut langsam die Kruste über den Geschehnissen auf. Der Text spielt mit den Wahrnehmungen, mit dem Unheimlichen und erzeugt dadurch eine schaurige Stimmung. Das Leben verändert sich durch die Begegnungen und Handlungen. Das Stadtleben greift nach dem Dörflichen und einst wurde eine junge Frau von einem reichen Münchener mit seinem Cabrio abgeholt. Der Enkel ist der Krähenjunge. Das Symbol der Krähe, die schlau, wissend oder ein Bote zwischen den Welten sein kann, erzeugt diverse Mutmaßungen. Die Figur umgibt etwas Diabolisches. Unaussprechliches beherrscht die Szenerie und bricht langsam aus den Untiefen des Unbewussten hervor bis letztendlich alles taut und Dinge befreit werden.
Ein modernes Märchen, das durch die Sprache und die enorme Stimmung, die gleich mit den ersten Zeilen erzeugt wird, fesselt. Die Handlung verdichtet sich immer mehr und doch bleibt vieles ungesagt und trotzdem erzählt. Die Buchwelt, die gerade das Land- und Dorfleben als Ausgangspunkt für gesellschaftliche Entwicklungen fokussiert, erhält nun eine weitere Ebene und wird viele Buchmenschen gerade dadurch begeistern können. Ein magischer Roman, der einen sofort abholt und verzaubert.
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