Archiv der Kategorie: Erlesenes

Herbert Clyde Lewis: „Gentleman über Bord“

Eine Geschichte um einen, der über Bord geht und allein im Ozean auf seine Rettung hofft. Das Bild der Schiffbrüchigen, des Ertrinkenden und der Rettung auf eine einsame Insel gab es oft. Doch die Geschichte, die hier erzählt wird, ist anders und zeigt neben der spürbaren Einsamkeit auf hoher See den turbulenten Kosmos einer ganzen Gesellschaft anhand weniger Nebenfiguren.  

Endlich gibt es diesen Meeresklassiker in der deutschen Übersetzung. Der Roman wurde aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Bonn und ist mit einem lesenswerten Nachwort von Jochen Schimmang (siehe im Leseschatz: „Laborschläfer“) versehen.

Ein wohlsituierter New Yorker Börsenmakler und Geschäftsmann stürzt mit seinen 35 Jahren in eine Sinnkrise. Er verlässt seine Kanzlei und seine Familie, um dem hektischen Alltag zu entkommen. Er bucht eine Schiffsreise. Nicht auf einem Luxusliner, sondern auf einem Frachter, der für wenige Passagiere Kabinen bereitstellt. Auch die Passage ist eine ungewöhnliche und geht durch wenig befahrenes und sehr ruhiges Gewässer. Er genießt die Schiffspassage und kommt zur Ruhe. Er betrachtet gerne die Sonnenunter- und Sonnenaufgänge und weiß sich gegenüber den Mitreisenden und dem Bordpersonal stets als Gentleman zu benehmen. Er ist ein Edelmann und mimt diesen in seiner fast schon biederen Art. Hier auf dem Schiff öffnet sich ihm ein neuer Horizont. Er nimmt sich Zeit, die anderen Menschen zu beobachten und mit diesen zu interagieren.

Er steht morgens zeitig auf, um seine Lieblingsplätze an Deck zu betreten und die Naturschauspiele zu beobachten. Vor dem Frühstück ist er somit schon draußen anzufinden. Am dreizehnten Tag an Bord der S.S Arabella passiert das Unglück. Er macht einen ungünstigen Schritt, rutscht auf einer Öllache aus und landet kopfüber im Ozean. Der kalte Aufprall lässt ihn vorerst den Schrecken vergessen. Dann erst setzt die Angst vor der Schiffsschraube ein und viel später die Angst vor dem einsamen Ertrinken. Erst ist ihm das Geschehene sehr peinlich. Wie konnte ihm, einem Gentleman, das passieren? Erst viel zu spät beginnt er zaghaft zu rufen, doch zu spät, das Schiff fährt weiter.

Er hofft im ruhigen Ozean, dass die Arabelle umdrehen wird, um ihn zu retten. Er geht davon aus, dass die Mitreisenden jetzt genauso an ihn denken wie er an sie. Sein Fehlen muss doch auffallen. Doch leider ist ein kleiner Streit an Bord ausgebrochen, die Mitreisenden sind gehemmt, genauer nach ihm zu fragen oder gehen von falschen Tatsachen aus. Bis er dann Stunden später doch vermisst wird.

Der Blick des auktorialen Erzählers verweilt beim Gentleman, der über Bord gegangen ist und den Menschen an Bord der Arabella. Dabei wird der Text zu einer großartigen Drama-Komödie. Denn die Menschen, die Passagiere, spiegeln die ganze amerikanische Gesellschaft. Die Welt an Bord des Schiffes reicht vom einfachen Farmer bis zu den Vertretern des moderneren Aktienhandels. Was passiert mit Menschen, die ihren sicheren Boden verlieren und kopfüber aus ihrer Scheinwelt fallen?

Eine schöne Wiederentdeckung und ein maritimer Leseschatz, der die Widersprüche der menschlichen Existenz einfängt.

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Christopher Ecker: „Die beste Hummelgeschichte der Welt und andere Geschichten“

Christopher Ecker liebt es zu fabulieren. Seine Werke sind fantastisch, klug und stets einfallsreich. Seine Texte, ob Lyrik, Romane oder Kurzgeschichten, bringen unsere Welt in Schräglage und sind herrlich seltsam. Das neue Buch offeriert sofort eine Frage, ob es sich hierbei um Kindergeschichten handelt. Erneut hat er mit dem Illustrator Jens Rassmus zusammengearbeitet. 2014 erschien bereits ihr Bilderbuch „Käpten Eichhörnchen und die Zaubertür“. Die neue Anthologie „Die beste Hummelgeschichte der Welt und andere Geschichten“ beinhaltet aber Geschichten, die wohl den Horizont eines Kinderbuches überschreiten. Kinderaugen mögen dies überlesen können und der Erwachsene versteht den Bezug der Skurrilität zur Realität. Somit könnte man sagen, dies sind Geschichten für Erwachsene, die wie Kindergeschichten erzählt werden.

Egal ob nun kleine oder große Menschen diese Erzählungen lesen, finden wird jeder sein Leseabenteuer voller Humor, Tiefgang, Schräglage und Unheimlichem. Man kann auch, wenn es mal unheimlich wird, durch diese Geschichten zuweilen seinen Mut finden, wenn er uns denn durch die Zeilen anschimmert. Tiere kommen vor, zum Beispiel Katzen, die sich als Hunde verkleiden oder andersherum. Oder war es ein Dachs, der uns dies weismachen möchte? Die Hummeln, die sich in der titelgebenden Geschichte treffen, wollen die Hummelliteratur retten. Wie dies gelingt, liegt im selbigen Abenteuer. Eine Hand, die sich verselbständigt und dem Träger somit befremdlich behilflich sein kann. Ein kleiner Mensch, der Mathelösungen ins Ohr zu flüstern weiß und letztendlich ist es immer Christopher Ecker, der uns durch seinen Blick teilhaben lässt an der umgekippten Welt, in der wir leben. Denn es gab einst einen Zauberer, der sich stets verzauberte und sein letzter Trick ließ ihn als Ecker, den Autor dastehen, der nun durch Worte zaubert und verzaubert oder entzaubert. Denn das Fabelhafte in diesen Fabeln ist das Kindliche, das Komische, das uns das Gruseln vor der Realität lehrt. Die Umkehr eines Pickels zum Beispiel. Ein Schulmädchen, das eines Tages einen Pickel bekommt, der so sehr wächst, dass am Ende der Pickel das Mädchen trägt. Ein Pickel, der in Menschengestalt in der dortigen Regierung Karriere macht und sich meist doch nicht gut auszudrücken versteht. Durch diese Geschichte schaut man umher und fragt sich, wie viele Pickel uns im Leben begegnen und hofft auf die Hummeln, die uns dann retten. Denn was am Ende steht, ist die Gewissheit, es gibt immer noch Hoffnung, auch wenn irgendetwas ganz schief läuft, der Zauber versagt hat oder die Handwerker, die etwas richten sollten, einfach bei uns einziehen.

Ecker ist der Zauberer, der die Literatur rettet und egal ob jung oder alt, gelesen gehört. Damit meine ich alle seine Werke, denn Christopher Ecker unterhält nicht nur gut, sondern schreibt wunderbar und verinnerlicht den klugen Witz, der in Bezug auf unsere erlebte Wahrheit Bizarres und Unheimliches aufzeigt. Philosophisches tanzt in seinen Texten immer mit der guten Unterhaltung.

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Rónán Hession: „Leonard und Paul“

„Leonard und Paul“ ist ein warmherziger, kluger und unaufgeregter Roman voller Hingabe zum Leben. Es geht um die Reduktion im turbulenten und immer schneller gewordenen Alltag. Mit ganz viel Sanftmut werden hier Charaktere beschrieben, denen wir an wenigen Tagen folgen dürfen und die mit jeder Zeile eine Nähe zulassen, dass es schwer fällt, sich nicht von diesem wunderbaren Text berauschen zu lassen und in das Buch und seine Figuren zu verlieben.

Das Leben ist eine Fülle an Nichtigkeiten, die uns jeden Tag widerfahren. Aber gerade diese Dinge des Lebens machen das Alltägliche zu etwas Liebenswertem. Auch das Printmedium, das es ausschließlich im Buchhandel gibt, verdeutlicht die zwei Seelen des Inhalts. Es ist sehr aufwendig und schön gefertigt und doch ist die Gestaltung minimalistisch. Das Schöne im Detail. Ein Mondfisch, der im Text auch eine kleine Betrachtung einnimmt, ziert das Covermotiv. Dies ist ein skurriler Fisch, der gerade durch seine Besonderheit geliebt wird. Auch die Tätigkeiten von Paul und Leonard verdeutlichen den Bezug zu Althergebrachtem und dies auch jeweils in der Nebenrolle. Paul ist Aushilfspostbote und sein bester Freund, Leonard, arbeitet als ungenannter Autor, der für Hauptautoren, Texte für Nachschlagewerke verfasst. Leonard schreibt während der Arbeitszeit an einem eigenen Projekt, er möchte ein Buch über die Römerzeit für Kinder schreiben, in dem nicht die üblichen Klischees erzählt werden, sondern er möchte den kindlichen Alltag betrachten. Wie wurde die Cäsarenzeit aus Kindesaugen gesehen? Dieses Buchprojekt spiegelt den Inhalt von „Leonard und Paul“ in unserer Gegenwart.

Es ist die Geschichte zweier Freunde, die introvertiert sind und doch zuweilen für sich die kleinen Abenteuer des Lebens suchen. Sie sind unbewusst auf der Such nach dem Verständnis für das, was im Leben wahrhaftig von Bedeutung ist. Sie spielen lieber Brettspiele, als sich dem Lärm der äußeren Welt zu stellen. Nicht die Mutter, die zwar auch am Anfang des Romans stirbt, sondern der Vater ist auf tragische Weise schon bei der Geburt von Leonard gestorben. Paul lebt bei seinen Eltern, die ihren Kindern stets zur Seite stehen. Paul hat eine Schwester, Grace, die gänzlich in ihren Hochzeitsvorbereitungen steckt. Leonard arbeitet in einem Großraumbüro und isoliert sich während seiner Arbeit. Paul, der lediglich zwei bis drei Mal im Monat tatsächlich Post austragen soll, versucht, seinen Alltag mit Kampfsport und mit Besuchen von Patienten im Krankenhaus aufzufrischen. Die Gespräche mit den meist älteren Kranken sind aber niemals so erfüllt wie der sinnvolle Austausch mit seinem besten Freund. Leonard lernt bei einer Feuerübung im Büro Shelley kennen und diese Begegnung setzt Veränderungen in Gang. Das Leben der Freunde, das bisher in ruhigen und geordneten Bahnen verlief, bekommt neue Anreize. Denn auch Paul widerfährt etwas, das durch seinen Beitrag für eine Ausschreibung der Industrie und Handelskammer seinen Anfang nimmt.

Die Charaktere sind herrlich normal und doch skurril, nerdig und in sich gekehrt und verdeutlichen die Menschen, die im Alltag oft oder meist übersehen werden. Die Begeisterung in dem Buch liegt in den beschriebenen Eigenschaften: der Freundlichkeit, der Sanftmut und der Bescheidenheit.

Diesen Roman muss man einfach liebhaben und er war der Buchhändlerliebling in England und Irland. Rónán Hession ist ein irischer Schriftsteller und Musiker. Unter dem Namen Mublin´Deaf Ro hat er bereits Musikalben produziert. Auch die Geschichte zu der deutschen Veröffentlichung ist eine besondere. Frauke Meurer und Torsten Woywod, beide in der Buchwelt nicht unbekannt, haben sich in den Roman verguckt und wollten das Buch veröffentlichen. Sie gründeten ihren eigenen Verlag „Woywod & Meurer“. Für die Übersetzung konnten sie Andrea O´Brien gewinnen. In Irland und England war das Buch sehr erfolgreich und wurde mit diversen Preisen versehen. Somit ist nun zu hoffen, dass sich dieser Roman auch in der deutschen Übersetzung aus dem Indieverlag gut behaupten wird. Zu wünschen ist es dem Werk, denn selten macht ein Roman so viel Freude und lädt von vornerein ein, sich in den Zeilen sofort wohl zu fühlen. Ein herzlicher und sehr humorvoller Roman über Freundschaft und Liebe. Im Mittelpunkt stehen das, was im Alltag übersehen wird, und die Erkenntnis, dass es gut ist, anders sein zu dürfen. Wir (d.h. die Meisten) sind Nebenfiguren, die die Welt verändern können.

Vielen Dank an den Verlag für meine Nennung in den Danksagungen.

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H. Dieter Neumann: „Auf Tiefe“

Die Leidenschaft von H. Dieter Neumann ist das Meer. Somit versammeln sich in dieser kleinen Anthologie Seestücke aus dem Norden. Es sind von ihm ausgewählte und sogar preisgekrönte Kurzgeschichten.

Eigentlich ist der Autor vorrangig durch seine Kriminal- und Spannungsliteratur bekannt. Nun hat er den Horizont auf sein Schaffen erweitert. Es gibt mystische, anspruchsvolle und unterhaltsame Erzählungen zu entdecken. Zuweilen düster, humorvoll aber meist sehr fesselnd.

Eingeleitet werden die Geschichten durch stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Fotos.

„Auf Tiefe“ kann mit diesen Erzählungen nautisch aber auch literarisch erfasst werden. Es sind von Salzwasser getränkte Geschichten, die das Meer als Metapher in seiner ganzen Facette einfangen. Die ruhige und glatte See kann innerhalb eines Augenblicks aufbrausen und bedrohlich sein. So wandelbar sind die Charaktere und ihre Erzählungen in dieser Anthologie. Alle eint die Liebe oder die Abhängigkeit zum und vom Meer. Ein historischer und moderner Blick auf Küstenmenschen, die Trauriges, Wahres und auch sehr Unheimliches zu erzählen haben. Die Küste wird zum Beispiel Zeuge von Mord, von unheimlichen Erscheinungen, von einer wahren Flucht aus der DDR, vom Bootsbau und dem kapitalistischen Wandel und von einem, der seinen Glauben verlor. Es sind Geschichten, die eine verfremdete Art der Geborgenheit hervorrufen und uns zuweilen doch dabei erschauern und erstaunen lassen. Morbides sowie Gruseliges und Mythenumranktes treffen auf Schönes und offenbaren die Schattierungen des menschlichen Lebens am und auf dem Meer.

Dies ist erneut ein Leseschatz, den ich vorab lesen durfte und auf dem ich auf der Rückseite aus obigem Text zitiert werde.

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Mirja Lanz: „Sie flogen nachts“

Dieses Buch ist lyrische Prosa und spielt mit Klang und Wortbildern. Das stimmungsvolle Erleben des Textes wächst mit den Wörtern zu den jeweiligen Abschnitten und Tageskapiteln. Zuweilen werden auch Bilder mit den Buchstaben erzeugt. Bilder wie tropfender Regen oder schmelzender Schnee. Somit ist dieses Werk ein Gesamtkunstwerk, das nicht wegen eines reinen Handlungsverlaufs gelesen werden sollte. Denn den Inhalt zu erfassen, ist in einer leidlichen Inhaltsangabe fast unmöglich, denn dieser Debütroman ist handlungsarm und doch erzählt er viel. Die Emotionen, die der Roman entfaltet, erzeugen durch das Klangbild, die Metaphorik und das Spiel mit den Begriffen und den Neuprägungen des Wortklangs einen Lesegenuß. Oft tauchen zuweilen auch finnische Vokabeln auf, die im Kontext zu verstehen sind oder erklärt werden. Die Liste der finnischen Wörter wird aber im hinteren Teil des Buches erklärt.

Wie ein sanfter Regenschauer tröpfelt die Erzählung und verbreitet eine zarte Melancholie, die in eine Schönheit fließt. Tropfen, die auf eine Wasserfläche fallen und somit immer größer Kreise auf der Oberfläche erzeugen. Doch der Blick verweilt nicht auf der Oberfläche, sondern geht durch die erzeugten Bilder immer tiefer.

Aava ist nach Finnland, woher ihre Vorfahren stammen, gekommen. Sie sucht ihre dortige Verbindung, Wurzeln und Familie. Alles ist durch den Winter gefärbt und zugedeckt. Auch sie befindet sich in einer Art des Winterschlafes. Sie zieht sich in die Hütte ihrer Tante zurück und genießt die Natur und erlebt diese in ihrer ganzen Vielfalt. Sie badet in der finnischen Sprache und erkundet die Umgebung durch Langlauf. Der Schnee, der die Klänge schluckt taut irgendwann aber auf und das Eis beginnt zu schmelzen. Etwas hat lange geschlummert und bahnt sich seinen Weg aus dem Unterbewussten. Das Unterbewusstsein und das Zugedeckte erhalten durch das Tauwetter ein Eigenleben und sprießen langsam empor, um zu wachsen. Es ist die Geschichte ihrer Familie, der sie nachgehen und nachspüren möchte. Voller Poesie und Fantasie tastet sie sich in die inneren und äußeren Räumlichkeiten. Das vorerst Unklare wird immer deutlicher und die Handlung beschreibt eine Rückkehr. Zu den Wurzeln, der Familie und der natürlichen Umgebung.

Das Buch ist ein Klangwunder und lebt von der Entschleunigung, die uns selbst beim Lesen erfasst. Ein Text, der zuweilen ungewöhnlich zu lesen ist (zum Beispiel Wortbilder, die von oben nach unten ihren Inhalt preisgeben), aber gerade dadurch eine große Faszination ausübt.

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Rainer Wittkamp: „Mit aller Macht“

Dieser Roman ist ein Vermächtnis in Hinsicht auf den verstorbenen Autor und auf die erzählte Geschichte. Im Mittelpunkt steht eine Familiengeschichte über zwei Generationen im zwanzigsten Jahrhundert, die in der Scharfrichter-Tradition mündet. Die agierenden Figuren sind zuweilen historischen Persönlichkeiten nachempfunden. Dennoch ist es ein Roman. Ein Werk, das durch seine Ehrlichkeit und die geschilderten Schrecken, einen Spannungsbogen aufbaut und die Charaktere fein herausplastiziert. Hier stehen das Private, das Idyllische dem Kalkül eines Staatsapparates gegenüber. Die Hingabe zum Erfolg und der Wille zur Macht sind dabei die Motivatoren. Zwei politische Strömungen geben den Hintergrund für die Henkers-Geschichte. Die des Nationalsozialismus und später die Entwicklung im geteilten Deutschland, besonders in der DDR, in der die Todesstrafe noch vollzogen wurde. Im Roman wird die individuelle Schuldfrage in einem totalitären Staat beleuchtet und übt dadurch eine makabre Faszination aus.

Peter Körber wird am Anfang von einem Genossen gebeten, noch einmal für den Staat seiner Aufgabe als Scharfrichter nachzukommen. Eigentlich hat er aufgehört, ist gebrochen und will nicht mehr, doch das perfide Machtspiel geht weiter, denn der Staatsapparat hat Informationen für ihn, die sein Leben verändern könnten. Um die richtige Antwort geben zu können, blickt er zurück auf sein Leben und liest die Tagebücher seines Vaters, den er nie kennengelernt hatte.

Peters Geschichte beginnt in Leipzig  Ende 1943 nach einem Bombenangriff. Er wird als Dreijähriger von seinem Vater bei seiner Tante abgegeben, bei der er fortan aufwächst. Als die DDR gegründet wird, kann er sich mit den Ideologien des Staatsbildes gut identifizieren, denn der Mann seiner Tante ist sehr prinzipientreu und hat Peter ebenfalls so geprägt und erzogen. Er ist ein guter Schüler und fällt bereits im Studium höheren Instanzen positiv auf. Er studiert an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft und erhält später auch im Ministerium für Staatssicherheit eine Einstellung. In seiner Freizeit liebt er es, mit seinem besten Freund Jazz zu hören und im Ministerium kann er seine Liebe zur Kunst sogar gut einbringen und macht dadurch Karriere. Peter ist parteihörig und bleibt seinen Ideologien stets treu. Seine Macht wächst und er wird wohl auch dadurch im Privatleben kein guter Ehemann. Er hat seine Frau durch die Liebe zur Kunst kennengelernt. In seiner Ehefrau erwacht ein stiller, rumorender Freiheitsdrang, dem sie nachgibt, als Peter ihr etwas Schlimmes antut. Ihre Flucht in den Westen wirkt sich auch auf Peter aus, denn er wird vor die Wahl gestellt, Jahre im Gefängnis zu verbringen oder sich als Scharfrichter zu rehabilitieren. Hierbei wird ihm angedeutet, dass ihm der Henkersberuf im Blute liegen würde. Jetzt stößt er zum ersten Mal auf die Geschichte seines leiblichen Vaters.

Fritz Wernicke, geboren 1910, will mit aller Macht in der Hotel- und Gastronomiebranche Erfolg haben und träumt von einem eigenen Hotel. Er ist auch sehr erfolgreich und will in der Schweiz seine Kenntnisse erweitern. Doch hier wird er Opfer von Betrügern und geläutert beginnt Fritz als Oberkellner erneut in einem Hotel in Leipzig. Durch die gefühlte familiäre Zuwendung zum Besitzer und der Liebe zu dessen Tochter wird Fritz in den Betrieb gänzlich integriert. Doch geht der Hotelbesitzer einer Nebentätigkeit als Henker nach, die seit vielen Jahren in seiner Familie weitervererbt wird. Da Fritz auf die weitere Gunst des Mannes hofft, bewirbt er sich als dessen Scharfrichterhelfer. Der Beruf, der eigentlich ein gesellschaftlich verpönter ist, bekommt durch den beginnenden Nationalsozialismus einen ganz anderen Stellenwert.

Der Roman erzählt von Freiheit und Selbstbestimmung innerhalb zweier totalitärer Staatsbilder. Staatsapparate, die die Agierenden für sich beeinflussen und manipulieren konnten. Die persönliche Verstrickung und die Bereitschaft, für die eigene Macht oder den Machterhalt in der Vernichtungsmaschinerie fast alles zu tun, zeigt das wahre Gesicht dieser Dunkelheit.  

Rainer Wittkamp konnte die Veröffentlichung dieses Romans leider nicht erleben. Er starb Ende 2020 überraschend und sein Verleger, Günther Butkus, hat mit Alexander Häusser sehr sensibel diese endgültige Fassung erarbeitet. Ich bin dankbar, dass ich bei der Entstehung des Textes von vornerein involviert war und mit einwirken durfte. Daher durfte ich auch erneut einen Text für die Rückseite des Buches beisteuern. Ein spannender und beeindruckender Roman.

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Jorge Zepeda Patterson: „Das Schwarze Trikot“

Vive le Tour! Das Rundrennen ist für mich eines der Höhepunkte der alljährlichen sportlichen Ereignisse. Kein geringerer als Jorge Zepeda Patterson setzt nun der Tour de France ein spannendes und denkwürdiges Denkmal. Spätestens wenn der Arc de Triomphe nach den schmerzhaften drei Wochen in das Sichtfeld der Fahrer rückt, werden zumindest im Roman aus Kollegen blutige Konkurrenten.

Jorge Zepeda Patterson schafft es, einen sofort in den Rausch der Handlung zu ziehen und man muss sich anstrengen, nicht selbst außer Atem zu gelangen. Mit wenigen Skizzen ist der Leser sofort Bestandteil des „Tête de la course“. Patterson versteht es, die Strapazen, die Entbehrungen und den Schmerz der Sportler einfühlsam in Worte zu kleiden und setzt dem Ganzen eine gehörige Kröne auf. Denn es geht nicht nur um das Erreichen der Siegertreppe, sondern es geht in dem Rennen des Jahres 2015 um Leben und Tod. 

Der Adrenalinrausch des Wettkampfs bekommt eine ganz neue Quelle und man sitzt mit im Sattel der Charaktere und erklimmt jede Bergwertung mit, um sich dann in einem halsbrecherischen Tempo in die Tiefe zu stürzen.

Für mich als Fan der Tour ein purer Lesespaß. Jedes Jahr machen wir in der Buchhandlung im Kopf Urlaub, wenn wir auf den Monitoren den Sportlern folgen. Die Leistung, das Rennen und die Regionen sind für uns schöne visuelle Anregung. Nun hat unser Kopfurlaub eine literarische Dimension erlangt und verbindet meine großen Leidenschaften: Radsport und Lesen. Also rauf auf den Sattel und los – Vive le Tour! Die Übersetzung stammt von Carsten Regling.

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Franziska Gerstenberg: „Obwohl alles vorbei ist“

Der Roman ist ein exzellentes Spiel aus psychologischem Familienroman und Weltgeschichte. In der Handlung schleicht sich in der geschilderten Beziehung eine Trennung hinein. Diese innere und im wahrsten Sinne gezogene Mauer ist auch der politische und geschichtliche Blick der Trennung von Ost und West und der langsamen Aufarbeitung. Etwas, das familiär zusammenlebt und sich gefunden hat, verliert sich und eine radikale Aufteilung führt in die Katastrophe. Obwohl dann alles vorbei ist, machen wir Menschen weiter und die ungewollte Aufarbeitung hindert uns am gemeinsamen Leben.

Der Roman erzählt fast immer chronologisch und aus wechselnden Perspektiven der Familienmitglieder. Die Handlung spielt in den Jahren 2000 bis 2020, in denen sich das Finden, Trennen und das katastrophale Experiment dieser Familie ereigneten. Jede Perspektive hat ihren eigenen Klang und Verständnis der Geschehnisse und weckt beim Lesen jeweils eine enorme Empathie für die agierenden Charaktere. Der Roman ist wunderbar geschrieben und baut langsam das Zerwürfnis auf, das in der Spaltung und Tragödie mündet. Bereits als sich das junge Paar findet, ist eine Diskrepanz zu spüren. Das Faszinierende und der Wunsch nach Liebe liegen neben dem Übersehen der Unstimmigkeiten. Ganz feinsinnig tastet sich die Autorin an ihre Figuren und deren ungewöhnliche Geschichte heran und steigert sich in der Spannung und der psychologischen Analyse, in der beständig unsere Zeitgeschichte reflektiert wird.

Charlotte lernt Simon auf eine holprige Weise in Berlin kennen. Durch das Spiel mit einer Wasserflasche und einem kleinen Sturz begegnen sich die beiden, aus denen später ein Paar wird. Charlotte arbeitet in einer Agentur, die sich um Werbetexte und um unternehmerische Internetauftritte kümmert. Simon ist Schauspieler und hofft auf eine Karriere beim Film, die er durch ein Casting für eine Krimiserie starten möchte. Die beiden suchen den Weg zueinander und die gemeinsame Liebe. Ihr Weg ist kein geradliniger und als ihre Eltern, die in Dresden wohnen, sie besuchen möchten, um Simon kennenzulernen, sterben diese bei einem Unfall. Genau am Tag als sich auch das Weltbild wandelt durch die Anschläge in New York. Da das Paar stets nach einer geeigneten gemeinsamen Wohnung gesucht hat, sieht Charlotte eine Gelegenheit als sie das Elternhaus in Dresden erbt. Doch Simon hadert und freut sich nicht, willigt dann aber doch, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes, ein.

Für den Traum des gemeinsamen Lebens machen beide Kompromisse. Beide verzichten auf ihre beruflichen Karrieren und der Traum wandelt sich kontinuierlich in einen Alptraum. Dies erleben besonders ihre Kinder, Greta und Karl. Greta, die ältere Tochter, hat eine engere Bindung zu Simon und Charlotte vergöttert Karl. Die Eltern streiten sich oft und als es immer unerträglicher wird, ziehen sie eine Reißleine. Eine Linie, die sich als Trennungsstrich durch das ganze Haus zieht. Haus und Familie werden aufgeteilt und das Leben in der Disharmonie erschüttert das Zusammenleben.

Sofort ist man verbunden mit den Charakteren und der Mahlström der Handlung reißt einen gänzlich mit. Das ungewöhnliche Familienbild wird dabei niemals überstrapaziert, sondern ist trotz des psychologischen Kampflatzes ein Ort, in dem man literarisch gesehen gerne Platz nimmt. Ein unerbittlicher Bericht über zwei Jahrzehnte, der jeden, der das Buch liest, berühren wird.

Franziska Gerstenberg hat mit viel Hingabe und mit schöner Sprache einen Familien- und Gesellschaftsroman geschrieben, der den Weg in eine Katastrophe aufzeigt und nach dem Kern des Zusammenlebens und der Liebe sucht.

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Dirk Gieselmann: „Der Inselmann“  

Eine Insel als Rückzugsort. Die Insel ist nicht in den Weiten des Meeres auszumachen, sondern befindet sich in einem See. Somit ist das Bild der Abgrenzung, der Isolierung und der inneren Flucht verstärkt. Ein Kind erlebt die Flucht der Eltern und verwandelt somit das Gesehene, das Karge, die Armut in Reichtum durch Kindesblick. Es ist Hans, dessen Geschichte wir erleben, der als Inselmann ein Mythos wird. Hat er gelebt? Ist er gleich dem Schimmelreiter eine Sage, die mit der Natur und Geschichte eng verbunden ist? Dirk Gieselmann schreibt in seinem Debütroman ganz nah, sanft und empathisch jenem Hans zugewandt. Durch die Zuwendung, Charakterisierung und die Naturelemente als Metapher reiht sich der Roman ein in jene Werke von Dirk Stermann (Der Junge bekommt das Gute zuletzt), Malin C. M. Rønning (Skabelon), Robert Seethaler (Ein ganzes Leben) oder Willi Achten (Die wir liebten). Es ist die Geschichte eines Inselkönigs. Der große und später der verblassende König. Es ist eine sehr bewegende Geschichte, die ganz zart und still erzählt wird. Sie ist traurig und wunderschön zugleich.

Steine, die ins Wasser geworfen werden, bilden Ringe, die auslaufen und dann lautlos am Ufer brechen. Doch wer trauert um Wellen? Nach Beenden des Romans trauert man und freut sich, so etwas Schönes erlebt zu haben. Der Roman ist aus der Zeit gefallen. Denn die Zeit lässt sich nur erahnen. Es gibt Radios, bei denen ein Auge aufleuchtet, wenn es eingeschaltet wird. Kutschen und Autos teilen sich die Straßen. Menschen fliehen und überwinden Länder. Somit ist es eine Zeit, die eventuell Anfang der sechziger Jahre einzuordnen ist. Der Ort könnte in Ostdeutschland liegen. Die Familie von Hans lebt einfach und der Vater ist wortkarg und launisch, wenn er von der Arbeit kommt. Irgendetwas hat sich verändert, etwas ist passiert, das Hans nicht erzählt bekommt. Doch hört er seine Eltern flüstern. Sie müssen weg und die Flucht soll nicht über Grenzen, sondern auf eine Insel im See gehen, der nahe der Stadt liegt. Ein großer See, denn die Insel ist vom Festland nur zu erahnen. Am Tag der Flucht scheitert diese fast durch das verspätete Ankommen des Fährmanns, der bereit ist, die Familie überzusetzen und in Folge wenige Male im Jahr zu versorgen. Auf der Insel lebte vorher ein Schäfer mit seinem Hund und den Schafen. Der Schäfer ging ins Wasser. Was dies bedeutet kann Hans nicht begreifen und freundet sich mit dem Hund an. Die Schafe, die überlebt haben, sind eine Lebensquelle der Familie auf der Insel. Hans erlebt das neue Leben auf seinem „Amerika“ voller Abenteuer, Träume und der Suche nach Schönheit. Doch die Einsamkeit wurzelt in seinem Empfinden, denn er vermisst seine Freunde. Doch freut er sich, denn er ist weg von den unheimlichen und brutalen Nachbarn. Hier auf der Insel ist er ein König, der Zeit hat, die Natur zu studieren.

Die Traumwelt von Hans zerbricht an der Realität. Die innere Flucht wird im Außen registriert und die die Schulbehörde meldet sich. Anfänglich rudert Hans somit jeden Tag aufs Festland, um in der Stadt die Schule aufzusuchen. Doch findet er keinen Einklang mit der äußeren und der inneren Inselwelt. Und er rudert nicht mehr ans Land, sondern versteckt sich und bleibt ganz auf der Insel. Die Behörden reagieren erneut und lassen Hans abholen. Der Inselkönig verliert sein Reich und im Schatten der Welt wird das Farbenfrohe immer blasser. Jahre später will er heimkehren, doch wird er auf der Insel empfangen?

Die Einsamkeit erzeugt Traurigkeit und ist dennoch schön. Das Individuum in der Gesellschaft als Bild des Inselmannes erzeugt in diesem Roman enormen Raum für persönliches Empfinden. Ein Werk, das im Lesenden eine Insel erbaut, die sich festsetzt und nachhaltig seine Bilder an die inneren Kanten wirft. Das Werk lebt von der Zuwendung zu den Figuren und den schönen Beschreibungen und Sätzen. Ein Roman, der ein ganzes Leben in der ganzen Fülle an Melancholie und Schönheit umfängt. Der Individualismus und der Wunsch nach Abgrenzung werden hier märchenhaft beschrieben und sind letztendlich doch keine Märchen. Ein wunderbares Werk, um darin gänzlich zu versinken.

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Jakob Guanzon: „Überfluss“

Zuweilen wird in der Kunst, besonders in der Literatur, Leid und Armut romantisiert. Armut hat in der Darstellung oft etwas Edles und Erhabenes. Dieses Bild zersprengt Jakob Guanzon mit seinem Roman „Überfluss“. Der studierte Soziologe lebt in New York und sein Debütroman ist nominiert für den National Book Award for Fiction und für den Aspen Words Literary Prize. Übersetzt wurde das Werk aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Falk. Ein schonungsloser Blick auf den Mangel, der zeigt, dass Armut nicht ein Erzeugnis von mangelnder Bildung sein muss. „Überfluss“ spielt in einem gesellschaftlichen Niemandsland oder Niemalsland, das aus Parkplätzen, Straßenrändern, Einkaufszentren und Trailer-Parks besteht.

Es ist die dramatische Geschichte von Henry, die voller Wut und Wahrhaftigkeit geprägt ist. Henrys Eltern sind Akademiker. Doch hatten sie es schwer im Leben und Henrys Vater betätigte sich stets handwerklich und übertrug sein Geschick und Können auf seinen Sohn. Die Eltern wünschten sich eine bessere Zukunft für Henry. Später, als Henry selbst Vater ist, kämpft er ebenfalls für ein besseres Leben. Sie haben ihr Zuhause verloren, wurden aus ihrem Trailer vertrieben und leben seitdem in Henrys Pick-up. Der Roman erzählt die Geschichte von Henry und seinem Sohn, wie sie den Tag und die Nacht zu überleben versuchen. In Rückblicken wird Henrys Geschichte erzählt. Von der Zwangsräumung, der Suche nach Arbeit und Liebe und dem Tod seiner Eltern. Die Geldsumme, die Henry noch verbleibt, ist namensgebend für die jeweiligen Kapitel.

Henry hat sich nie gescheut, zu arbeiten. Auch neben der Schule hat er bereits zum täglichen Bedarf der Familie beigetragen. Er hat sich viel abverlangt und wollte gegenüber seinem Vater niemals als verweichlicht dastehen. Als er seinem Vater den Hauptteil seines Lohns abgibt, wird er später mit einem eigenen Pick-up belohnt, den ihm sein Vater schenkt. Mit diesem möchte er seine große Liebe beindrucken. Im angetrunkenen Zustand erlebt Henry seine erste Liebesnacht im Autokino. Dieses Erlebnis wird ihn später zum stolzen Vater machen. Seinen Sohn nennt er stets Junior. Die Liebesgeschichte und den Weg in die Armut erleben wir in berührenden Rückblicken. Der enorme Spannungsbogen wird durch die Haupthandlung des Romans erzeugt. Junior hat Geburtstag und Henry möchte ihm etwas Besonderes zum Ehrentag bieten. Neben einer Wrestling-Action-Figur als Geschenk gehen sie bei McDonald´s essen und wollen eine Nacht in einem Motel verbringen. Nach langer Zeit mal wieder baden können und in einem richtigen Bett schlafen. Henry macht sich Hoffnungen, denn am kommenden Tag hat er ein Vorstellungsgespräch. Im Zimmer möchte er dafür üben und seinen Anzug bügeln. Hierfür borgt er sich ein Bügeleisen bei der geschäftstüchtigen Dame an der Rezeption. Leider gestalten sich der Abend und die Nacht nicht wie erhofft. Junior erkrankt sehr und bekommt hohes Fieber. Im Nebenzimmer wird es laut, denn ein zwielichtiger Hundezüchter haust dort, mit dem Henry in einen folgenschweren Streit gerät, in dem das Bügeleisen zweckentfremdet wird. Vater und Sohn werden erneut in die Nacht hinausgetrieben und kämpfen um ihre Würde und ums Überleben.

Eine große Abrechnung mit der zerstörerischen Gier, die das kapitalistische System zerfrisst und das Individuum auf den Boden der Straßen wirft, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, auf dem Geldfluss mitzuschwimmen. Ein ergreifender und authentischer Text, der voller Hingabe zum Thema und zu seinen Figuren geschrieben ist. Ein erschütterndes Bild über Armut mit ihren Auswüchsen und Folgen in der Psyche, der Gesellschaft und im alltäglichen Leben.

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