Amanda Lee Koe: „Die letzten Strahlen eines Sterns“

Dieses Buch strahlt förmlich. Ein großartiger Roman über drei unterschiedliche Frauen, die bis heute für Gesprächsstoff sorgen und die Kunstwelt nachhaltig beeinflusst haben. Ein literarisches Leuchtfeuer, in dem die realen Charaktere, Marlene Dietrich, Anna May Wong und Leni Riefenstahl, zu Romanfiguren werden. Man vergisst, dass die Frauen, die Geschichte und ihr Umfeld der Wahrheit entsprechen und versinkt wie bei einem cineastischen Wunderwerk gänzlich in der Kunst.

Das zeiten- und weltenumspannende Werk beginnt mit einem Foto. Im wahrsten Sinne ist dies der Auslöser, der ein zufälliges Zusammentreffen beleuchtet. Es ist das Jahr 1928 und in Berlin wird ein Presseball gefeiert. Marlene Dietrich ist eine aufstrebende Schauspielerin und hofft auf eine große Karriere. Daher hat sie sich auf dieses Fest geschlichen und sorgt für Blickfang. Leni Riefenstahl, die später als Regisseurin berühmt und berüchtigt wird, sehnt sich auch als Schauspielerin nach Hollywood. Anna May Wong ist es, die die männlichen Blicke auf sich zieht und vor der sich eine wartende Menge an Tanzpartnern bildet. Anna May Wong ist bereits eine erfolgreiche Schauspielerin mit Hollywood-Erfahrung. In einer Tanzpause erblickt der Fotograf Alfred Eisenstaedt die drei beieinander stehenden Frauen und macht Fotos. Es sind zwei, die nun den Roman umspannen. Durch diese kurze Ablichtung bekommen die drei Frauen ein Profil, das sich in Folge der Handlung episodenhaft verfestigt.

Das Foto als Grundlage für den Anfang der umfangreichen Geschichte ist ein gelungener Einstieg. Wie Strahlen breiten sich nun die Lebenswege durch Jahrzehnte aus und streifen dabei die Höhen und Tiefen. Das Buch entfächert sich wie ein großer Kinofilm mit weltumspannenden Kulissen, diversen Blickwinkeln, diversen Nebenrollen und Hauptschauspielerinnen, die in die Rollen ihres Lebens schlüpfen. Alles erscheint in einem unterschiedlichen Licht, wie die jeweiligen Settings und Rollen vor und hinter den Bühnen und Kameras.

Marlene Dietrich liebt das Rampenlicht und steht gerne im Vordergrund. Sie überstrahlt auch im Roman. Doch sind es letztendlich auch die letzten Strahlen eines Stars, der einsam in seiner Wohnung in Paris lebt. In Paris taucht eine bewegende Nebenrolle auf, Bébé, die aus China gekommen ist, prostituiert wurde und nun Hausmädchen bei der Dietrich ist. Jedes Kapitel trägt ein Ornament passend zu den drei Hauptcharakteren, deren Perspektiven fixiert werden. Die Handlung wandert durch die wechselnden politischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Neben der Strahlkraft der Stars gibt es auch die Tiefenschärfe, die Schattenwelt mit ihren Konturen. Die Frage nach Mitschuld taucht zumindest bei Leni Riefenstahl auf, die sich mit ihren Propagandafilmen dem Nationalsozialismus anbietet.

Spannend und aufregend ist der Roman über alle Kapitel hinweg. Das Buch beleuchtet Geschichte und die asiatische Sicht auf europäische Geschichte macht das Werk besonders. Ein Roman, der wunderbar geschrieben ist und die wahre Geschichte in Literatur verwandelt. Reale Figuren treten auf und ab und geben den Hauptschauspielerinnen ihren Raum, um sich gänzlich zu entfalten. Dabei verwischt die Wahrnehmung zwischen Realität und Kunst. Das Buch wird lange strahlen, wie jene Stars, die auch zuweilen fragwürdig waren. Es sind aber Strahlen, die bis in unsere Gegenwart reichen.

Das Buch ist ein glänzendes Lesefest und wurde von Zoë Beck aus dem Englischen übersetzt. Amanda Lee Koe lebt in Singapur und New York. Ihre Kurzgeschichten „Ministerium für öffentliche Erregung“ (siehe auch im Leseschatz) hat viel Anerkennung erhalten. „Die letzten Strahlen eines Sterns“ ist ihr erster Roman.

Zum Buch in unserem Onlineshop

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