
Dies ist das Lied von Feuer und Nichts. Islands Landmasse besteht aus vielen Gletschern. Der Gletscher Vatnajökull ist der größte Islands und somit auch der größte Europas. Die Lyrik ist aber nicht nur eine Ode der Trauer, des Abgesanges, sondern eine Liebes- und Lebensgeschichte. Die isländische Autorin fängt in Ihren Gedichten die Liebe zur Natur ein. Schön, berührend und klangvoll beschreibt sie die Landschaft, die Urgewalt der Natur und ihre eigentliche Erhabenheit gegenüber den Menschen. Doch die Menschheit, die es letztendlich so weit gebracht hat („O ja, bis an die Sterne weit!“ – selbst Faust ergo Goethe erahnte die Ironie unserer Entwicklung), ist ein großer Motor zur Vergänglichkeit. Denn neben der Schönheit der Lyrik und der Liebe zur Natur ist das Buch eine poetische Klage über die Umweltzerstörung und den Klimawandel.
Das Buch, die Gedichtsammlung, ist auch als ein Gesamtwerk zu lesen. Die poetische Reise ist ein Langgedicht, eingeteilt in einzelne Gedichte und Kapitel. „Nachtdämmern“ stellt den eigentlich ewigen Gletscher in den Mittelpunkt. Steinunn Sigurdardóttir sieht ihn als Kind in seiner weißen Pracht und dem blauweißen Glitzern im grünen Umfeld der Insellandschaft. Doch besteht die Gletschermasse, wie wir Menschen, zum größten Teil aus Flüssigkeit. Das Feste verflüssigt sich beständig im Laufe des Lebens der Ich-Erzählerin. Sie erkennt durch ihre vermissten Anblicke, dass wir, anders als die Tiere, das Universum begreifen können. Der Mensch betrachtet sich gegenüber seinem Umfeld als erhaben und vergisst ein Teil zu sein und wird zum Zerstörer. Unser Verstand erfasst den Schaden, den wir erzeugen, und wir lassen es dennoch geschehen.
Am Leben entlang der Erzählerin, der Autorin, erblicken wir die Schönheit und die Kraft der Natur. Das tobende Meer, die grüne Wiesen- und Mooslandschaft umzäunt von Bergen und Gletschermassen. Ein Ort, der als Sinnbild unserer Phantasie und Erdverbundenheit oft real und in der Vorstellung bereist wird. Doch ist es ein Ort der Polaritäten, der Extreme und wirkt verzaubernd auf uns und zeigt, wie nichtig der Mensch gegenüber der Naturgewalt erscheint. Das Land der Naturgeister wird durch das barsche Auftreten der Menschheit entzaubert und die Gletscher beginnen zu schmelzen. Die Lebenserinnerungen beginnen aus der Sicht des kleinen Mädchens und wandern zur Erwachsenen. Dabei verändern sich der Rhythmus und der Klang.
Ein wunderschönes, ruhiges Buch. Die Klage, der Klimawandel wird nicht extra belehrend betont, sondern keimt in der Betrachtung der schwindenden Schönheit. Ein kleines und großes Buch zugleich. Ein wunderschönes und trauriges Werk. Aus dem Isländischen übersetzt von Kristof Magnusson.
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Ich bewundere immer den Mut von Übersetzern und Verlagen, sich an die Übersetzung fremdsprachiger Lyrik zu wagen. Jeder Leser weiß, Lyrik ist im Grunde unübersetzbar. Das gilt selbst für literarische Prosa. Ich möchte wohl mal wissen, wie sich zum Beispiel ein chinesischer Science-Fiction-Roman im Kopf eines kundigen Lesers malt. Allein, wie sich die Schriftzeichen in Sprache übersetzen! Das kann doch nicht wirklich vermittelt werden. Aber wer kann schon Chinesisch, und wer kann schon Isländisch. Da wollen wir auf Übersetzungen nicht verzichten, die vermitteln uns wenigstens eine Ahnung, mehr ist nicht, es ist, wie wenn man ein schneebedecktes Gebirge von Ferne sieht, man weiß, man wird nie hinkommen, aber einen Ausblick hat man nun doch. Deshalb Dank an Übersetzer und Verlag, und Dank auch an diese Seite, die auf so seltene Kostbarkeiten aufmerksam macht.