David Wonschewski: „Blaues Blut“

Hier gerät ein psychologischer Stein ins Rollen und verbirgt sich in einem ganzen Feld. Ein Sammelsurium an Egos trifft hier in einem fast schon handlungsarmen, aber stets kurzweiligen, Spiel zusammen. Aus einem Stein werden Felder und geboren ist der Protagonist Frankenfelder. Die Namensgebungen sind zuweilen verborgene Wegweiser.  Als Beispiel versteckt sich ein brachialer Witz in einer Figur und der Antagonist wächst wie eine ungesunde Wucherung.

Im Roman lauert derber Tiefgang. Der Text verschleiert den Anspruch zuweilen in Einfachheit und lässt an cineastische Werke wie zum Beispiel „Fight Club“ erinnern. Der Humor kommt auch nicht zu kurz. Ein schwarzer Humor und der witzige Blick auf eine stagnierte und moralisierte Gesellschaft, der den Sound eines Beuteltiers von Marc-Uwe Kling besitzt. David Wonschewski wird auch zuweilen mit Thomas Bernhard und David Foster Wallace verglichen. David Wonschewski ist als Kulturjournalist für Radio, Print und für Onlineportale tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das musikalische Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, schreibt lesenswertes über Literatur und hat nun selbst seinen Weg als Autor gefunden. Mit „Blaues Blut“ feiert er seine dritte Veröffentlichung.

Der zu lesende Text wird mit Blut geschrieben. Es ist blaues Blut aus Tinte, das die Geschichte von Frankenfelder erzählt. Der Prolog und der Epilog beschreiben das Sterben. Jemand wurde mit einem Messer tödlich verwundet. Als der Körper im Sterben liegt, vereinen sich weitere Protagonisten um ihn herum und agieren, als sei er bereits gegangen. Nun beginnt die Reise in die verzettelnden Gedankenspiralen der agierenden Egos. Als Abiturient war Frankenfelder ein grübelnder, kritischer junger Mann. Die gesellschaftlichen Erwartungen lassen ihn sich verändern und ein kurzer Ausrutscher im alkoholisierten Vollrausch hinterlässt seinen Stuhl auf einem Biedermeier-Stuhl. Damit erwacht die handlungsgebende Biedermeiersehnsucht. Gleich dem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“. Aus Frankenfelder wird ein verhaltensauffälliger Mensch. Eine Organisation rechtschaffener kontinentaleuropäischer Männer, kurz OrkM, setzt einen Mitarbeiter auf ihn an, der lediglich IM Krebs genannt wird. Doch sieht er in Frankenfelder noch keine wirkliche Gefahr für sich oder für die Gesellschaft. Etwas mehr Konsumbereitschaft oder ein Mehr an Feminismus würden Frankenfelders Biographie geraderücken. Doch die Leitung von OrkM sieht in ihm einen Misanthropen und sendet den Krebs mit dem Befehl der zeitnahen Entsorgung des sinnentleerten Nationalbürgers Frankenfelder aus. Der weitere Verlauf liest sich aus zwei Perspektiven, die von IM Krebs und von Frankenfelder. Doch sind da noch Cosmin und Cristina, die auftauchen. IM Krebs, auf Gedankenmanipulation spezialisiert, beschattet und beeinflusst fortan Frankenfelder, der sich dem Spiel und dem Zwang der Gesellschaft entzieht. Die zeitnahe Entsorgung wird Krebs 20 Jahre kosten. Doch die Entsorgung ist nur eine Verlagerung, denn Frankenfelder ist nicht weg und hat eventuell das ganze Spielchen umgedreht …

Ein Roman, der von Gedanken lebt, die der Egos und jene, die sich im Lesenden einnisten. Das Werk ist grotesk, bizarr und versteht es, das Derbe, das Bittere neben einer zarten, philosophischen Poesie stehen zu lassen. Beide Seiten sind Seiten eines Ganzen und bedingen einander, somit ist durch die Sprache auch ein Bezug zum Inhalt gelegt. Das Leseerlebnis kann auch als Multivisionsshow genossen werden, denn es gibt eingestreute QR-Codes bzw. Links, die zu Songs von Christoph Theussl oder zu Lesepassagen des Autors führen.

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