Justin Steinfeld: „Califa oder Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin“

Fast schon eine Sensation. Ein aufgetauchtes Manuskript aus dem Jahr 1955 ist ein mahnendes Werk, das gerade heute eine traurige Gültigkeit hat. Ein Roman, der alle Grenzbereiche umspielt. Es ist Satire, Utopie und Science-Fiction. Justin Steinfeld (1886–1970) hat zwei Werke hinterlassen. Beide wurden von Steinfeld mit „Ursachen und Wirkung“ tituliert. Beide Teile beschäftigen sich auch mit dem Kausalprinzip. Teil eins ist der autobiografisch geprägte Roman „Ein Mann liest Zeitung“. Dieser erzählt die Geschichte des jüdischen Kaufmanns Leonhard Glanz aus Hamburg. Der Protagonist verfolgt das Weltgeschehen aus der medialen Distanz und hat die Ereignisse selbst erfahren. Sein Schicksal und die Emigration sind für ihn nicht fassbar. Nun ist das Manuskript Teil zwei gefunden worden und unter den Titel „Califa oder Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin“ erschienen. Das Grauen der erlebten Zeit aus „Ein Mann liest Zeitung“ wird in das Kommende verlagert. Die Bedrohung und die Kriegstreiberei bleiben erhalten. Die Politik und das Handeln sind bürokratisch, wirr und treiben die Menschen in den Wahnsinn. Ein Roman des Atomzeitalters, der 1955 entstanden ist und durch das aktuelle Geschehen und Waffenrasseln eine unheimliche Aktualität erhält.

Justin Steinfeld wurde 1886 in Kiel geboren, gestorben 1970 in Baldock, England. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung war er journalistisch und für das Theater tätig. 1933 war Steinfeld kurzzeitig im Konzentrationslager Fuhlsbüttel interniert. Ihm gelang die Flucht nach Prag. Er schrieb für die Exilpresse und nach dem Münchner Abkommen floh er nach Großbritannien, wo er bis zu seinem Tod lebte. Sein Roman „Ein Mann liest Zeitung“ schildert seine Erfahrungen der Zeit und ist ein bedeutendes Werk der deutschsprachigen Exilliteratur. Mit „Califa oder Die Liebe zu einer Starkstromtechnikerin“ dreht er die ermahnende Stimme lauter und macht sich lustig über unser Weltgebaren.

Die Welt ist eine andere und doch die unsere. Grenzen und Fronten gibt es natürlich weiterhin. Am Anfang des Textes schlägt die Uhr natürlich auch zehn vor Zwölf. Die Politik, die Machtapparate und die Kriegstreiber sind misstrauisch, denn es gibt eine neue Bombenart: Clf. Doch was ist das genau? Califa als ganzer Name. Eine Machtposition verfügt über circa 700 Einheiten. Dies ist anscheinend genug, um den Mond gegen den Mars zu sprengen. Der Mensch erfindet Dinge, die ihn und seine Welt stets mehrfach zerstören kann und reicht sich selbst dies als Spielzeug. Genannt wird es dann als Abschreckung. Doch im Roman bleibt es keine Abschreckung. Der Krieg wird ernst. Doch bevor die Vernichtungswaffen losgelassen werden, wird auch die Wirtschaft gelähmt. Die Börse wird geschlossen und eine neue Währung eingeführt. Der Gegenwert des Goldes ist antiquiert, die aktuelle Deckung lautet Califa. Schutz soll ebenfalls organisiert sein. Städte werden unterirdisch erbaut und eine kann sogar schnell bezogen werden. Atombombenschutz gibt es dadurch aber noch nicht, also muss eine weitere Idee her. Eine brennende Gaswand, die bis in die obere Atmosphäre reicht, soll den Luftangriff unmöglich machen. Diese sind der Nährboden des Romans, die Angriffswellen, die Machtreiber und die aufgeheizte Stimmung. Weltmächte, irre Ideen und die Menschen, die sich diese ausdenken und umsetzen. Doch keimt nicht auch eine Hoffnung, eine zarte Liebe auf? Gibt es die Möglichkeit des Friedens, der Waffenstille und der Rettung der Welt?

Ein Roman voller irrem Witz. Makaber und unglaublich packend erzählt. Ein Buch aus der Vergangenheit ist genau zum richtigen Zeitpunkt aufgetaucht. Erinnert an den italienischen Kultroman „Terra!“ von Stefano Benni. Doch hat Steinfeld in der Übertreibung stets die Wahrheit der Menschlichkeit erkannt und ermahnt uns lautstark. Ein toll geschriebener und wichtiger Roman. Ergänzt wird der Roman durch ein Vorwort von Jo Hauberg und einem Nachwort von Willi Winkler.

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