Hank Zerbolesch: „Gorbach“  

Gorbach dient als fiktiver Ort und stimmt durch die Namensgebung klanglich auf das Inhaltliche ein. Wäre diese Literatur Musik, würde man von einem Konzeptalbum schreiben. Schonungslos, unverblümt und doch stets literarisch wirft uns Hank Zerbolesch in diverse Handlungen, die sich verbinden, begegnen oder versanden. Lebenswirklichkeiten am Rande des Ortes, des Lebens und der Gesellschaft prallen ineinander und wühlen uns, den Schmutz und alles andere auf. Der Klang ist dabei roh, fein und voller Mitgefühl. Das Drama hat Witz und der Humor ist tieftraurig. Das Randgebiet als Ballungszentrum mit seinen Bewohnern. Prägt der Ort die Menschen oder machen die Menschen den Ort? Die Handlung wird dabei zum Ort und somit die verbindende Hauptfigur.

Im Ort sind die kulturellen Höhepunkte zum geselligen Treffen, die Kneipe „Kippchen“ und der Kiosk „Büdchen“. Hier und dann doch ganz woanders füllt sich die Ortschaft mit Leben. Es sind Polizistinnen, Lehrer, Musikerinnen, Drogensüchtige, Buchhalter und ein Autor, der existentielle Fragen an das geduldige Papier stellt. Am Anfang ist der irre Ele, der in seiner Wohnung wartet. Er ist an seinen Rollstuhl gebunden, weil er damals ein Auto geklaut hatte und bei der polizeilichen Verfolgung von der Straße abgedrängt wurde. Die verfolgende Polizistin fühlt sich immer noch schuldig, besucht ihn regelmäßig und ertrinkt ihren Kummer mit Bier. In der Kneipe sind noch Udo und Micha, die zu alles eine Meinung pflegen. Die Bardame ist bei den Geschehnissen im Kippchen vom Handy abgelenkt, wird dann aber auch redselig und erzählt von ihrer Heimat, aus der sie wegen des Krieges geflohen war. Ihr Mann durfte das Land nicht verlassen und somit versucht sie allein für ihre Tochter zu sorgen. Ferner werden wir Zeuge einer Musikproduktion und der brutal endenden Plattenaufnahme. Die Situationen sind oft aus Einsamkeit, Verwahrlosung und Nichtverständnis entstanden und werden wortwörtlich immer brenzliger und zündeln letztendlich einiges nieder. Mitschüler werden krankenhausreif geschlagen, eine Radiomoderatorin nutzt die eingeforderte Sendezeit, um auf mediale Missstände hinzuweisen und mit ihrem Vorgesetzten abzurechnen.

Episoden tauchen auf, verschwinden ganz oder verbinden sich dann wieder durch die Örtlichkeit. Zornig, schmutzig und lautstark kann es in Gorbach zugehen. Die Perspektivlosigkeit verbindet sich aber auch mit Hoffnung. Doch der Weg zur Hoffnung kann voller Gewalt sein, kann leider auch zuweilen gar nicht gefunden werden. Die Töne, die dieser Roman macht, sind unsere Lebensgeräusche, die durch Berührung, Reibung und durch Zerwürfnisse entstehen. Gorbach wird zu einem Ort, einem Markplatz, der nun durch den Roman eine Marktforschung erhält.

Hank Zerbolesch hat einen Roman geschrieben, der den Ort in den Mittelpunkt stellt. Es gibt keine Hauptfigur, sondern ganz viele, die sich mit ihren eigenen Kapiteln aneinanderreihen wie Kurzgeschichten. Doch haben alle mehr oder weniger miteinander zu tun. Handlungen erzeugen Ursachen, dessen Wirkungen sich dann in den folgenden Geschichten zeigen. Mit dem agierenden Personal spielt der Autor inhaltlich und sprachlich. Alle bekommen ihr passendes Klangkostüm angezogen. Die Übergänge sind zwischen den Kapiteln fließend. Denn der Ausklang, der nicht vollendete Satz, wird zum Anfang des kommenden Textes, der den Raum in Gorbach erweitert. Kein Werk, das sich anbiedert oder gefällig sein möchte, sondern uns durch seine Kunst ins Kippchen kippen lässt. Ein wundersames Werk, das durch die Perspektivlosigkeit Perspektiven verdeutlicht.

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