Pol Guasch: „Napalm im Herzen“

Wenn die Realität unerträglich wird, hilft nur die Flucht in die Phantasie. Literatur ist hierfür ein wunderbares Portal. Doch öffnet sie sich in beide Richtungen. Bücher lassen uns der Welt entkommen, erklären uns diese aber wiederum auch viel besser. Dieser Roman ist ein Brandkampfstoff, der ins Herz trifft. In einer wunderschönen Sprache, die aber keine heile Welt erschafft, wird das Leben in totalitärem Umfeld in Frage gestellt. Es sind Bilder der vielfältigen Unterdrückungen, die den Menschen fliehen lassen. Raumflucht oder die Flucht in den erdachten Schutzraum. Dabei wird immer deutlicher, wenn das Menschliche versagt und die Menschheit dabei Oberhand gewinnt, stirbt das natürliche Umfeld. In der Umkehr gilt es ebenso. Denn als sich das Regime zurückzieht, kehrt in diesem Roman auch die Natur zurück. Ein Roman, in dem gleich am Anfang die Frage nach der Kunst des Lebens oder des Überlebens steht.

Die Unterdrückung wird sprachlich spürbar eingefangen. Dennoch ist es eine schöne Sprache, die nichts verschönt und zuweilen auch drastisch und brutal sein kann. Die Sehnsucht nach Freiheit gelingt dem Erzähler vorerst nur durch seine Träume, Texte und Phantasie. Die Heimat des Erzählers ist militarisiert und den Menschen wurde geraten, die Region zu verlassen. Einige sind aber geblieben. Eines Nachts gab es in der Fabrik einen lauten Knall und die Nacht wurde zum Tag durch gleißendes Licht. Dieser Moment hat alles verändert. Das Wilde erobert sich ihre Heimat zurück und Grenzen lösen sich auf. Der Erzähler lebt mit seiner Mutter in einer gewalttätigen Welt. Hoffnung, meint er, führe nur zur Niederlage und er findet sich ein in der trostlosen Welt. Alles wird reglementiert und streng bewacht. Kahlköpfige Männer bewachen, ordnen an und übermitteln die Botschaften und Post. So auch die Briefe des Erzählers. Schulden werden anhand von Kerbhölzern aufgeführt und ebensolche leise Liste macht sich der Erzähler auch für die Tage. Es sind bereits über neunhundert Tage nach dem Vorfall. Trost findet er nur in der Natur und in seiner Liebe zu Boris. Doch auch diese Liebe ist wie die ursprüngliche Sprache verboten. Die Menschen werden ihrer Herkunft beraubt und die Liebe darf nicht frei sein. Dagegen wehrt sich der Erzähler und hält an seiner Sprache und Liebe fest. Durch ihre Briefe und heimlichen Treffen versuchen sie, sich gegenseitig zu retten. Boris macht unerlaubte Fotos, die Lebensmomente und Gefühle fixieren. Die Mutter des Erzählers lässt eine für den Erzähler unerträgliche Nähe zu einem der Kahlköpfigen zu. Der Erzähler lebt in einem Umfeld, das Gewalt kennt und er langsam auch davon nicht mehr abweicht. Durch die Taten und das Erkennen der Situationen bleibt für ihn und Boris nur die Flucht übrig.

Ein poetischer Roman, der einen nicht mehr loslässt. Die kurzen Kapitel und die erzeugten Bilder bewirken eine Faszination, die einen gänzlich gefangen nimmt. Eine zarte Sprache, die dann in ihrer Sanftheit etwas Grobes verbirgt und uns entgegenschleudert. Was bleibt uns als Menschheit übrig, wenn wir nicht lieben dürfen, wen wir wollen, was wenn wir nicht leben können wie gewünscht oder sprechen dürfen, wie wir empfinden? Welche Schlupflöcher in unserer erkrankten Welt bleiben uns? Zumindest das der Literatur bleibt. Dies beweist „Napalm im Herzen“ von Pol Guasch. Der Roman wurde aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt übersetzt.

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