Steve Rasnic Tem: „Das langsame Fallen von Staub an einem ruhigen Ort“

Hauptsache das Leben kommt irgendwann und lässt den Ärger draußen. Solche Gedanken durchstoßen wohl nicht nur die Menschen aus den vorliegenden Geschichten. Steve Rasnic Tem  hat Anglistik und Kreatives Schreiben studiert und schreibt seit den Siebzigern Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien. Auch Romane hat er verfasst, ist vielfach ausgezeichnet worden und hat einen Kultstatus. Verwunderlich also, dass dieser poetisch klingende Titel die erste deutschsprachige Veröffentlichung ist. Aber zumindest können wir den Autor jetzt endlich entdecken. Seine literarischen Arbeiten bleiben keinem Genre treu, entwickeln aber einen ganz eigenen Sprachraum, der uns eigentümlich berührt. „Das langsame Fallen von Staub an einem ruhigen Ort“ beinhaltet Erzähltes und wurde aus dem Amerikanischen von Gerrit Wustmann übersetzt. Der Übersetzer und Autor scheinen aufeinander gelauert zu haben, denn sie passen, sofern es aus der lesenden Distanz beurteilt werden kann, gut zueinander. Wustmann ist Lyriker, Autor und taucht in meinen zelebrierten Musikmagazinen stets auf.

Die Geschichten verbiegen sich immer zum Sonderbaren hin. Sie sind herrlich absurd, driften ab und überraschen uns. Doch liegt im Sonderbaren stets der Wink zurück zu uns. Auf unsere Gesellschaft und unser Tun. Der Mensch, der sich zurückzieht aus der Gesellschaft, der sich dem entziehen möchte und lieber in Büchern versinkt oder auf Züge wartet, die irgendwo, nirgendwo stranden, zeigt unser Lebensgefühl. Die Grenzen werden dabei ausgedehnt, die des Genres und die der Handlungsebenen. Ein Ladendieb taucht auf, der beulenartig das Entwendete unter dem Mantel verbergen möchte, doch dabei stets auffliegt, weil er erst den Kühlschrank, dann die Rolltreppe und dann die gesamte Kundschaft mitgehen lässt. Es sind alles irgendwie Einsame, die suchen, was sie im Leben wollen. Eine Reise, die mit einem nebulösen Zug zu einem Hafen geht, der eine Schiffspassage verspricht, die auf sich warten lässt. Das vermeintliche Entkommen aus der eigenen Tristesse führt meistens doch irgendwie zurück. Die Agierenden stehen somit sich selbst im Weg oder einfach im Abseits, doch begegnen sie dabei eventuell dem monströsen Leben. Das Kurzweilige zeigt sich in den nicht immer erbaulichen Geschichten. Die Kürze wird mit einem Immobilienmakler enorm verdeutlicht. Er trifft ein und ihm wird das unheimliche nicht vorhandene Haustierleben des Vormieters bewusst. Letztendlich ist es den meisten doch egal, was mit den anderen Menschen passiert, solange diese keine Berührungspunkte mit dem eigenen Leben haben. Dies ist der Knackpunkt der eigentümlichen Erzählungen. Sie wirken surreal und sind dann doch ein staubiger Hinweis auf unser Leben innerhalb der Gesellschaften. Eine Reise zu den Abgründen und Ängsten, die uns philosophische Gedanken anbietet, wenn man diese zulässt. Das Buch hat eine magische Suggestionskraft und verlangt ein beständiges Betrachten wie mit dem Titelbild bereits malerisch gewarnt wird. Eine Warnung, die aber getrost vernachlässigt werden kann. Es macht Spaß, Steve Rasnic Tem endlich auch hier entdecken zu dürfen, denn es sind Texte die magisch wirken, dann aber unheimlich gegenwärtig sind.

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “Steve Rasnic Tem: „Das langsame Fallen von Staub an einem ruhigen Ort“

  1. Hi Hauke
    Danke für diese Minirezension.
    Meine Lektorin machte mich bereits auf dieses Buch aufmerksam und jetzt auch du. Also werde ich es mir mal kommen lassen, aber, oh weh, wie lautet denn der Originaltitel? Da ich in Norfolk wohne, ist es für mich weitaus einfacher, das Original kommen zu lassen.
    Alles Gute
    Klausbernd 🙂

Hinterlasse einen Kommentar