Osamu Dazai: „No Longer Human“

Ein Kultbuch kehrt zurück. Das Werk behandelt eine Distanzierung vom Selbst und vom Menschsein. Hier taucht der menschliche Zustand in einer Verneinung auf und der Roman hat seit Erscheinen 1948 viele japanische Leser fasziniert und zählt zu den meist gelesenen Werken. „No Longer Human. Bekenntnisse eines Gezeichneten“ wurde bereits mehrfach mit dem Titel „Gezeichnet“ verlegt. Durch die Verfilmung und als Manga hat das Buch erneut viel Aufmerksamkeit erhalten.

Osamu Dazai erzählt eindringlich das Schicksal des jungen Yōzo Ōba. Es ist eine Selbstreflektion von seiner Kindheit bis zum jungen Erwachsenenalter. Dies geschieht durch einen distanzierten Blick, der den Titel reflektiert. Wir gehen drei Schritte zurück, denn es ist Osamu Dazai, der Autor, der das Werk schreibt und eventuell autobiografisch eingefärbt hat. Der eigentliche Erzähler wiederum taucht lediglich am Ende und am Anfang auf. Diesem werden drei Fotos und Hefte zugespielt. Die Hefte sind gefüllt mit Yōzo Ōbas Gedanken, der sich als Mensch disqualifiziert empfindet und schreibt, er habe ein schändliches Leben geführt. Auf dieses Leben blickt er zurück. Der Erzähler, dem die Hefte vorliegen, fragt sich, ob der Verfasser noch am Leben ist und auch wenn das Geschriebene in der Vergangenheit liegt, dürfte die Geschichte den gegenwärtigen Leser interessieren.

Dem Erzähler, der vorerst die drei Fotos betrachtet, fällt sofort Eigenartiges auf. Drei Fotos, eins aus der Kindheit, das zweite während der Studienzeit und das Letzte, das den Abgelichteten mit ergrauten Haaren zeigt. Doch das Alter ist schwer einzuschätzen. Später erfahren wir, das Yōzo Ōba seine Geschichte mit siebenundzwanzig Jahren aufschreibt, aber ein Leben führte, das ihn ergraute. Die Fotos sind eine Steigerung ins Groteske. Das Kind lächelt, aber es ist ein maskenhaftes Gesicht und die Hände sind zu Fäusten geballt. Als Student zeigt er ein raffiniertes und inszeniertes Lächeln, das dennoch nicht von einem Menschen zu sein scheint. Die letzte Fotografie ist die absonderlichste. Der Mensch wirkt gesichtslos. Somit ist anhand der Bilder bereits der Handlungsbogen entwickelt.

Das Fehlen jeglicher Empathie zeichnet Yōzo Ōba. Was es heißt, menschlich zu leben, weiß er nicht. Durch diese Diskrepanz erzeugt er eine Distanz und er entbindet sich der Menschlichkeit. Den sozialen Bindungen entzieht er sich und überzeichnet sich und wählt die Clownerie. Die Albernheit, die sein Selbst schützt, maskiert und verändert ihn. Durch diese Clownerie gelingt ihm die Integration innerhalb der Gesellschaft, aber entfremdet ihn in Wahrheit dadurch immer mehr. Er ist mit conditio inhumana gezeichnet. Er schreibt, er sei bei der Lebensprüfung durchgefallen und er habe aufgehört, als Mensch zu existieren. Dies mündet in erfolglosen Suizidversuchen. Er steigert sich in Süchte hinein und kommt in klinische Behandlung, aus der er befreit wird, aber die Einsamkeit und das Gefühl der nicht Zugehörigkeit und die Entfremdung bleiben.

Eine Analyse des Menschseins. Ein tiefer Blick in die menschliche Entmenschlichung. Ein eindrucksvolles Werk. Aus dem Japanischen von Jürgen Stalph und mit Nachbemerkungen von Irmela Hijiya-Kirschnereit. Alles mehr als lesenswert und ein wichtiger aktueller Spiegel.

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