Philippe Soupault: „Was blieb von unseren Leidenschaften?“

2024 ist nicht nur das Kafka-Jahr. Der Surrealismus feiert seinen 100. Geburtstag. Die Welt und besonders Paris feiert diese Kunstbewegung. Surrealismus hat das Ziel, sich gegen Traditionen und Normen zu äußern, dies durch Literatur, Malerei, Bildhauerei und Film. Ist der Surrealismus tatsächlich 100 Jahre alt? Die Berechnung legt das im Oktober 1924 veröffentlichte Manifest des französischen Schriftstellers André Breton „Manifest du Surréalisme“ zugrunde. Wie hier im Leseschatz üblich, dürfen die unbekannten, die besonderen Perlen nicht übersehen werden. Denn durch den Blick der Feierlichkeiten geraten Künstler aus dem Augenmerk, die weniger Beachtung fanden, aber bedeutende Wegbereiter waren. Philippe Soupault gehört zu diesen Übersehenen. Denn fünf Jahre vor Bretons Manifest wurde der Surrealismus angedacht. Guillaume Apollinaire, André Breton und Philippe Soupault suchten 1919 nach einer neuen Kunstsprache.

Philippe Soupault wurde am 2. August 1897 in Chaville bei Paris geboren. Über Guillaume Apollinaire lernte er 1917 André Breton kennen und sie wurden die Initiatoren der surrealistischen Bewegung. Philippe Soupault entzog sich später dem Gruppenzwang, um seine Kunst freier gestalten zu können. Vorher schrieb er mit André Breton das bedeutende Werk „Die magnetischen Felder“ (Les Champs magnétiques). Es war ein Experiment. Es sollten die Eindrücke des Krieges und der Gegenwart und die Psychologie eingebunden werden. Das Unbewusste sollte durch die automatische Schreibweise offengelegt werden. Der Text sollte durch das Ausblenden rationaler Überlegungen entstehen und die Geschwindigkeit des Schreibens sollte ganz der Hand überlassen werden. Es wurde ein Schlüsseltext der Moderne, der nun erneut veröffentlicht wurde (zweisprachige Ausgabe). Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Ré Soupault.

Fünfzig Jahre nach dem ersten surrealistischen Experiment, fragte Philippe Soupault: „Was blieb von unseren Leidenschaften?“ Er erhielt Besuch von jungen Dichtern, die Fragen stellten. Dadurch geriet Soupault ins Nachdenken und begann zu reflektieren. Seine Sicht ist nun nachzulesen und ist ein historisches Kunstdokument. Es sind die Auswirkungen der Weltereignisse, die jene Kunstbewegungen erzeugte. Am Anfang war DADA. War Dada nur da, weil Dada da war? Eine Bewegung? Kunst, Skandal oder Rebellion? Die Freundschaft zu Tristan Tzara vertiefte seine Kunstauffassung. Soupault beschreibt die Umstände der Zeit. Er erinnert sich an die Weggefährten und an die kreativen Prozesse. Auch an jene, die die Kunst lähmten oder sogar ausnutzten. Daher sein späterer Rückzug aus dem Gruppenzwangsgefühl. Denn die Wegbereiter wurden überrannt, liegengelassen und zuweilen durch Clownerie übermalt. Ein Text über Kunst, Revolte und über die Sehnsucht nach Freiheit und Befreiung. Herausgegeben wurde „Was blieb von unseren Leidenschaften?“ von Manfred Metzner, der mit Christiane Schröter das Vorwort schrieb. Übersetzt wurde Philippe Soupault von Ré Soupault.

Für Literatur- und Kunstbegeisterte sind dies bedeutende Bücher, die nun inhaliert werden können. Das Wunderhorn hat mit beiden Werken erneut eine lesenswerte und bereichernde Fundgrube geöffnet.

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Hinterlasse einen Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Hinterlasse einen Kommentar