
Ein beindruckender Debütroman. Es geht um eine Freundschaft und um die Wiederfindung des Vertrauten. Es ist ein Spiel zwischen dem Land- und dem Stadtleben. Dabei wird überall die Furcht vor Veränderung und dem Fremden spürbar. Ein Roman über Lebensentscheidungen und über unsere ausgelagerten Ängste und unsere gedachten zwischenmenschlichen Hierarchien. Dieser tiefsinnige und doch kurzweilige Roman erinnert an „Martiniloben“ von Marlen Schachinger.
Kim reist aus der Stadt zu ihrer Freundin Anne und hofft auf schöne Tage auf dem Land. Anne war oft für sie ein Vorbild gewesen. Sie hatte etwas an sich, das sie begeisterte und faszinierte. Sie planten damals gemeinsam ein Blumengeschäft und ein Café zu betreiben. Dann lernte Anne ihren Mann kennen und verließ Berlin. Hat Anne sich verändert oder hat Kim sie anders wahrgenommen? Der Umzug von Anne hat die Freundschaft verändert. Nun wollen sie diese durch wenige Tage, die Kim sie besucht, auffrischen. Anne lebt in einem großen Haus mit riesigen Fenstern, die das Drumherum einfangen. Um das Dorf gibt es einen Wald und sonst nicht viel. Weite Wege muss man machen, um einzukaufen oder Erledigungen zu tätigen. Somit benötigt jeder ein Auto, das im Carport untergebracht ist. Das Landleben zeigt sich anders, als es sich Kim gedacht hatte.
Die Menschen sind wortkarg und misstrauisch. Auch wenn Anne mit ihrem Mann und den Kindern dort schon länger wohnt, sind sie immer noch die Zugereisten, die Fremden, die nach weiteren Karriereschritten wohl auch weiterziehen werden. Anne fällt es schwer, sich in im dortigen Leben zu integrieren. Ihr Mann ist oft lange bei der Arbeit. Als Kim anreist, ändert sich daran wenig. Anne will sich für Kim Zeit nehmen und auch die Nachbarn einbinden. Sie sagt, sie wäre dort glücklich. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Denn warum haben alle Gärten hohe Zaunanlagen und die Türen sollen stets geschlossen bleiben. Warum dürfen die Kinder nie alleine in den Garten und schon gar nicht in den Wald? Seltsame Geschichten werden sich um den Wald erzählt. Menschen, die dort vagabundieren und es wird erzählt, es gäbe dort auch etwas Bedrohliches.
Die Dorfbewohner sind ein eingeschweißtes Netzwerk und alles Äußere wirkt in ihren Augen feindlich. Neben der Wohlfühlatmosphäre des Landes gibt es die Angst vor Einbrüchen, wilden Tieren und den Gerüchten um den Wald. Der Wald als mystischer Ort, der eine Region der Erholung und Naturverbundenheit ist, aber auch, aus alten Zeiten kommend, etwas Bedrohliches beherbergen kann. Wo der Wald beginnt ist somit eine Grenze, die wir uns lediglich denken. Es geht dabei um Abgrenzung und Ausgrenzung. Wir alle sehen uns und die Menschen in unserer Umgebung stets mit der eigenen Wahrnehmung. Das persönliche Umfeld ist, auch in Zeiten der Globalisierung, sehr klein. Auch wenn Berlin eine Großstadt ist, trifft man in seinem Wohn- und Lebensraum oft dieselben Menschen. Die Gesellschaft und wir alle gewöhnen uns an Ausgrenzung und sogar an Missachtung. Dies kann im Kleinen, aber auch im Großen geschehen. Wir stellen uns selbst oft in ein eigenes Licht und schauen auf andere herab oder herauf, ohne es zu merken, zu wollen oder es uns zu wünschen.
Ein spannender Roman, der subtil die Zwischenmenschlichkeit in allen Facetten beleuchtet.
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