
Ein Epos, das tief und breit seine und unsere Geschichte erzählt. In drei Abschnitten, jeweils fünf Jahre getrennt, erleben wir das Menschliche und die Unmenschlichkeit in einer fiktiven Kleinstadt. Es sind die Jahre 1935, 1940 und 1945. Die Machtergreifung wird durch die ausgewählten Jahre sehr spürbar und gleicht einer Hand, die eingreift, dann zupackt und immer fester zudrückt. Dabei wird gezeigt, wie die Menschen unter dem unmenschlichen System korrumpiert werden, leiden, missbraucht oder honoriert werden. Wie wurden die Täter zu solchen und was wurde aus der Menschlichkeit? Wo waren die guten Menschen, als das Unmenschliche sich im Alltag stark machte und die Mitmenschen in den Tod gingen?
Arno Frank schreibt sehr bildreich und erzeugt eine Nähe zu den Figuren, so dass der Roman sofort zum Bleiben einlädt. Die Ortschaft steht für alle Städte und Gemeinden der damaligen Zeit und ist somit überall zu finden. Die Charaktere sind die normalen Bürger, jene die mitgerissen wurden oder mitgerissen haben. Im Mittelpunkt stehen Menschen mit Bildung und Mitgefühl. Sie erkennen das Unrecht und beginnen die Situationen zu hinterfragen. Sie stehen für unsere persönlichen Fragen wie wir gehandelt hätten. Die Komplexität des Romans erschließt sich mit einer Leichtigkeit. Es ist ein literarischer Roman, der Geschichte erfahrbar macht und somit auf uns verweist. Kulturelle Entwicklungen werden sachkenntlich eingebaut. Am Anfang, nach der Machtergreifung, wird langsam das kommende Ausmaß deutlich. Da eine der Hauptfiguren Buchhändlerin ist, wird hierbei das Bildungsbürgertum angedeutet, das sich den Anordnungen der Verbände und der Politik beugen muss. Literaturlisten, die bestimmen, was gelesen werden darf. Auch die Medienlandschaft, besonders die Sicht auf den Journalismus, wird durch eine weitere Figur gut eingebunden. Merle, die Buchhändlerin, und Eugen, der Journalist und Autor, kommen sich im Roman immer näher. Wobei er verheiratet ist. Seine Frau aber die politischen Strömungen des Landes gutheißt und ihn drängt mitzugehen, um auch Karriere zu machen. Merles Sohn, der junge Lothar, verliebt sich und hat anfänglich eine zarte Seele, die es beim Angeln nicht schafft zu töten, dann aber davon träumt Pilot zu werden. Mit gemischten Gefühlen muss Merle Lothar beobachten, wie er zur Hitlerjugend geht. Können die Menschen dem Druck, der auf sie ausgeübt wird, entkommen?
Aber auch die Menschen, die profitieren, erleben wir. Die Papierfabrik, die sich sorgt, dann aber durch den enormen Waffenbau gute Aufträge für die Zündungsmechanismen und Füllmaterial der Einlagerung erhält. Der Blumenhändler, der politische Karriere macht und seine Macht immer für sich einzusetzen versteht. Menschen, die sich mehr um die Energie Sorgen machen als um ihre Mitmenschen. Die Menschen, die immer mehr Macht erhalten und vor Gewalt nicht zurückschrecken und jene, die leiden, dem Druck nachgeben, mitlaufen, schweigen oder in den Tod gehen tauchen in Ginsterbug auf und erschaffen dadurch ein großartiges facettenreiches Werk. In diesem Roman werden diese Gegensätzlichkeit und die Geschichte sehr lebendig. Sei es bei einem damaligen Autorennen, beim alltäglichen Leben, beim Kinobesuch und später während des Krieges. Die Kleinstadt als Mikrokosmos, als Bild für das Miteinander zu unmenschlichen Zeiten. Es sind die Beziehungen und das Menschliche, das den Ort anfänglich ausmacht. Das Geruhsame aber immer mehr durch das Weltgeschehen erschüttert wird.
Ein atmosphärischer und mitreißender Roman. Die Verstrickungen und die Zusammenhänge werden sehr gut ausgearbeitet und Ginsterburg wird zu einem erfahrbaren Ort, der uns alle berührt.
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