
Die feine kleine Meeresbibliothek mit Klassikern der Weltliteratur hat Neuzugänge bekommen. Wie bei dieser bibliophilen Buchreihe sind die Titel alle meerwassergetränkt. Denken wir an das Meer in der klassischen Literatur, fallen uns oft Werke von Defoe, Melville, London oder Verne ein. Doch es gibt sie auch, die lesenswerten Frauen, die das Meer in ihren Werken verewigt haben. Das feminine Meeresverständnis gehört nicht überlesen und Carme Riera gehört nun in diesen Reigen dazu. 1975, kurz vor dem Tod Francos, veröffentlichte die Mallorquinerin mit 27 Jahren ihren Erzählband. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat für ihre Werke bereits einige Preise erhalten. Ihre Texte sind sensibel und leise und entfachen dann eine unbändige Kraft, die, wie das Meer, sich aufbäumt gegen das Starre und Feste. Ihre Heldinnen leben im Patriarchat und müssen sich damit arrangieren. Doch unterwerfen sie sich tatsächlich und folgen sie den Gepflogenheiten der Gesellschaft?
Das Meer bleibt ein Sinnbild der Ferne und der Weite. Es ist jene natürliche Kraft, die eine Freiheit suggeriert. Ein Anbranden gegen das Bestehende. Das Aufbrechen des Regelwerkes und das Aufbegehren gegen die Gesetze und die vorherrschende Moral sind in den überraschenden Kurzgeschichten stets spürbar. Mallorca ist für viele ein Sehnsuchtsort. Eine Insel, die beim Lesen dieser Geschichten zu einer weiteren Metapher wird. Der Mensch selbst wird eine Insel, die für sich meist alleine wirkt und durch die äußere Berührung oder Beeinflussung ins Strudeln gerät. Frauen, die das Meer liebend umarmen und dabei den letzten Gruß den Wellen überlassen. Die Sammlung wird ummantelt durch zwei Erzählungen, die sich ergänzen und somit den Inhalt fortführen. Es ist das Schreiben einer Frau, die als Schülerin verliebt war. Es war eine tief empfundene Liebe. Langsam bekommen wir das Ausmaß dieser Liebe mit. Es ist eine Liebe zwischen einem Lehrkörper und einer Jugendlichen. Die Liebe zu einer Lehrerin. Die Sehnsucht und das Verlangen brausen auf, werden erwidert und ziehen sich dann zurück. Stets ist das Empfinden mit dem Meer gleichzusetzen. Die unerfüllte Liebe bleibt Beweggrund der Schreiben und die späteren Liebesbekundungen werden unter den Briefmarken versteckt. Dies in der Hoffnung gefunden zu werden oder einfach ungesehen zu verstummen. Am Ende wird das Meer als Pfand belassen und das Drama bleibt offen, denn die letzte Geschichte berichtet aus der Sicht einer Lehrerin, die ein anderes Ende und Verlauf anzeigt. Letztendlich können es dann nur die Möwen bezeugen.
Dazwischen befinden sich kurze und stimmungsvolle Miniaturen, die ebenfalls das Meer, den Strand als Schauplatz des menschlichen Dramas aufzeigen. Vieles versteckt sich unter der Oberfläche. Eine Oberfläche, die gleich dem Meer diverse Schattierungen und Brandungen erfahren. Es sind versteckte und sehr raffinierte Gedankengänge, die hier ganz behutsam eingebunden werden. Große Themen sind es, die geschickt in die Literatur einfließen, ohne damaliges Aufsehen zu provozieren. Die Frage nach der freien Liebe wird gestellt und die ausweglosen Wege münden oft mit einer letzten Umarmung des Meeres.
Ein wunderbarer Leseschatz wurde hiermit gehoben, der aus dem Katalanischen von Petra Zickmann übersetzt und mit einem Nachwort von Kirsten Brandt versehen wurde.
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