
Ein Debütroman über zwei Freundinnen, die sich gegen äußeren Druck abgrenzen. Ihre Freundschaft nennen sie Schwesternschaft und diese ist sehr eng, aber nicht perfekt. Ein faszinierender Roman, der eine Wut zeigt, die nicht zu Gewalt, sondern zu Sprache wird. Dabei kommt Gewalt vor. In der Phantasie, die aus der umlauernden Stimmung ihre Wirkkraft zieht und dann in der Realität, wo die Gewalt bereits in kleinsten Gesten ihren Ursprung hat. Das Werk hat einen enormen Sprachklang und liest sich wie ein poetischer Soundtrack über eine Freundschaft. Der Sprachklang erinnert an weiblichen Sprachgesang, der seinen Emotionen klugen Ausdruck gibt.
Die Erzählerin ist Jara und sie ist mit ihrer Freundin, Anto, zu einer maroden Brücke gegangen. Dabei haben sie ihre Baseballschläger, von denen einer im Fluss landet. Die Eisenbahnbrücke ist stillgelegt und das Betreten eigentlich verboten. Doch treffen sie sich hier öfters über der Ruhr. Anto springt hinter dem Baseballschläger hinterher und ist im Fluss verschwunden. Was soll Jara tun? Die Polizei rufen und Hilfe holen? Doch was ist, wenn Anto einen ihrer Scherze macht und wie soll Jara dann die Anwesenheit der Hilfskräfte erklären. Während sie auf der Brücke steht, hadert und mit sich ringt, kommen die Erinnerungen und Szenen der Freundschaft schwirren in ihrem Kopf herum.
Jara traf auf Anto zum ersten Mal beim Fußballspiel. Doch ist Anto eine sehr miese Spielerin und doch durch ihren Eingriff bei einem verletzen Vogel, der bewusst von einem Ball getroffen wurde, übt sie auf die Umstehenden eine Faszination aus. Jara und Anto werden Freundinnen, die oft zusammen abhängen oder um die Häuser ziehen. Sie teilen alles miteinander, ihre Kleidung, Musik, Kosmetik und Zeit. Sie treten wie Schwestern auf und handeln auch meist als solche. Durch das Umfeld müssen sie sich oft wehren und behaupten. Ein Umfeld, das durch Männlichkeit geprägt ist. Von Jungs und Männern. Männer, denen die eigenen Bedürfnisse am wichtigsten sind. Männer, die auf Körper starren. Männer, die jene Angst genießen, die sie verursachen. Jungs, die über ihre Erfolge bei Frauen Wetten abschließen. Diese Männlichkeit ist im Großen und Kleinen überall anwesend. Sei es in der Schule, in Einkaufszentren oder in der Eisdiele, in der Anto arbeitet. Ein Gast gibt ihr stets überzogenes Trinkgeld und Anto fragt sich, was in dessen Kopf vorgeht. Allgemein wächst in den beiden Freundinnen eine enorme Wut. Wut auf den vermeintlichen Besitzanspruch.
Dieser Weg zur Freundschaft und darüber hinaus schwirrt Jara durch den Kopf, als sie nicht weiß, was sie auf der Eisenbahnbrücke tun soll. Es ist der Weg zu einer Schwesternschaft und zu den geplatzten Emotionen, die sie dahin geführt haben, wo sie sind. Doch geht der Weg weiter. Auch nach der Ausgangszene auf der Brücke. Ist es ein gemeinsamer, denn was ist mit Anto wirklich auf der Brücke geschehen? Ein anfänglich gemeinsamer Weg, der durch unterschiedliche Familien, Freunde, Schulen und Bedürfnisse auch über den eigenen Zusammenhalt ins Stolpern gerät.
Dieser Text erzeugt eine sehr enge Bindung an die Protagonisten und durch die kraftvolle und klangvolle Sprache inhaliert sich das Werk sehr spürbar und schnell. Die Kapitel sind minimalistisch inszeniert und das ganze Buch baut sich gut komponiert zusammen, so dass wir alles mitempfinden dürfen und es bleibende Bilder und Gefühle erzeugt.
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