
Die Irrfahrten auf See hat es bereits bei Homer gegeben, Ein Held, der durch das Schicksal in eine Verkettung von Abläufen gerät. Bei einer solchen Odyssee sind unbekannte Zuwächse und Überraschungen beständige Wegbegleiter. Die Irrfahrt als Metapher und als Abenteuer. Ein raffinierter und unglaublich betörender Roman, der für unsere Empfindungen eine Übermacht einnimmt und die Grenzen der Wahrnehmung regelrecht übersegelt. Ein Törn, in dem Gezeiten, die See und das Umfeld die Kontrolle übernehmen. Denn wie es im Text steht, übernimmt das Meer irgendwann das Denken, wenn wir damit aufgehört haben sollten. Für den Erzähler ist gerade das Leben auf dem Meer besser als irgendwo anders. Doch je näher er der Küste kommt, desto stärker wird seine Bindung zum Land spürbar. Die Welt saugt ihn wieder ein und seine Gedanken, Sorgen und Ängste verfestigen sich. Auf seiner letzten Etappe begleitet ihn seine siebenjährige Tochter auf seinem Segeltörn und ein Sturm zieht auf. Er bleibt ruhig, denn er kennt das Meer und weiß, Überleben beruht auf Routine. Er ankert und will das Unwetter nahe der Küste aussitzen.
Diese Etappe, von Dänemark bis in die Niederlande ist der Abschluss seines Segeltörns. Er hat sich eine Auszeit genommen und ist für Wochen im Atlantik und in der Nordsee unterwegs. Auf dem Festland sind seine Frau Hagar und die Tochter Maria. Er suchte die Einsamkeit und hat sich auf das Meer zurückgezogen. Nun auf der letzten, unbedenklichen Überfahrt, die zwei Tage dauern soll, möchte er seine Tochter dabei haben. Hagar, die ihre Ängste nicht benennt, nicht begeistert ist, gibt nach und somit geht Maria mit an Bord. Vater und Tochter sind nun in der Abgeschiedenheit und der Rest der Welt nur noch ein Gedankenkonstrukt am Horizont. Sie haben eine losgelöste Zeit auf dem Boot. Doch nun, auf den letzten Seemeilen, schlägt das Wetter um. Maria schläft, während er das Boot nahe dem Festland verankert. Dann ist Maria plötzlich verschwunden. Auch ihr Kuscheltier ist weg, dabei schlief sie doch soeben noch.
Die Perspektiven und der geradlinige Horizont verschieben sich mit jeder weiteren Seite. Dieser Roman, eher eine Novelle, hat eine enorme Sogkraft. Mit einfacher und zugänglicher Sprache baut sich hier ein Spannungswerk auf, das mit der Nähe zum Festland, immer mehr Tiefe erhält. Der Titel und die Handlung erinnern an Homer und Melville. Die Irrfahrt ist nicht auf das Nautische bezogen, sondern es geht auch um das Ankern im Leben als Ehepartner und als Vater. Der Text spielt mit uns sehr geschickt und die Windrichtung ändert sich und mit ihr auch die Handlungströmung. Der Clou erinnert ferner an den Roman „Einhandsegeln“ von Kortmann. Die Beziehung von Mensch und Meer ist dabei der Einstieg für Gedankenbilder, die sich dann um das Miteinander verfestigen.
Dieser Literaturtörn wurde bereits mehrfach übersetzt und sogar verfilmt und ausgezeichnet. Aus dem Niederländischen ist der Roman von Ilja Braun übertragen worden.
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