
Am Ende bleibt nichts, wie es war oder ist doch alles so, wie es war. Haben wir es nur phantasiert? Das ist die Frage, die sich hier literarisch stellt. Nichts in diesem Buch ist wahr, heißt es vorweg, nur das, was wahr ist. Somit gaukeln uns der Erzähler und der Autor einiges vor und wir haben unseren Spaß daran. Wenn in uns etwas wächst, sich etwas festgesetzt hat und sich unsere eigene Welt darüber stülpt, kann daraus eine Perle oder ein Polyp wachsen. So ergeht es auch Juan Pablo – Autor und alter Ego in „Das Alibi“. Die Begriffe „Friseur und Briefe“ zieren den Originaltitel, der nun aus dem mexikanischen Spanisch von Carsten Regling übersetzt erschienen ist. Das Alibi verweist auf die Bescheinigung für eine bestimmte Zeit gegenüber dem Partner, dem Arbeitgeber oder gegenüber der Justiz, wenn es sich um eine Tatzeit handelt. Also was ist passiert? Sofern überhaupt etwas geschehen ist, ist es unglaublich viel, was Juan Pablo zu berichten hat. Denn er hat als Autor ein Problem. Er ist glücklich. Somit befürchtet er, diese Aussage am Anfang könnte das Ende des Romans sein und was soll er schreiben? Denn gute Literatur entsteht aus Ereignissen, Dramen und wurzelt meist im Unglück. Das Autofiktionale berührt, wenn es authentisch ist. Aber was, wenn das Glücklichsein vorherrscht?
Seinen Namen kennen wir. Alle anderen wollen nicht in Erscheinung treten. Auch seine Kinder möchten nicht, dass er sie für seine Literatur verwendet. Also bleiben sie das Mädchen und der Halbwüchsige. Auch seine Frau ist lediglich die Brasilianerin. Er stammt aus Mexiko und sie sind beide nach Barcelona gezogen und leben dort mit ihren Kindern. Sie sind glücklich und er zelebriert das dort erhältliche mexikanische Essen und die spanische Lebensgewohnheit, die seiner ähnelt. Das erste Alibi benötigt seine Frau, als er sich in einer gastroenterologischen Klinik untersuchen lässt und sie ihn begleitet. Gegenüber ihrem Arbeitgeber benötigt sie einen Nachweis, den er ihr am kommenden Tag beschaffen möchte. Doch die Empfangsdamen wittern den Versuch eines möglichen Betruges und wollen nur ihr persönlich das Dokument ausstellen. Als seine Frau, als er noch da ist, ihn anruft und fragt, ob alles geklärt sei, ist er gänzlich überfordert. Er sagt ja und verzettelt sich. Er wird auch auf einem Schreibkurs, den er in einer Buchhandlung gibt, in etwas verwickelt. Ein Mann sucht seine Nähe, weil er behauptet, auch schreiben zu wollen. Er habe viel erlebt und wolle es verewigen. Doch wie sich in Folge herausstellt, möchte dieser nur Fotos mit dem bekannten Autor machen, um seine Abwesenheit andernorts zu erklären. Auch ein Friseurbesuch, den Juan Pablo macht, verwickelt ihn. Er geht in einen Salon, wo die Friseurin Zeit hat. Warum diese nichts zu tun hat, macht ihn nur kurz stutzig und sieht dann, dass ihre eine Hand geschient ist. Beim Haarescheiden passiert es, sie schneidet sich, weil sie ihr Handwerk nicht richtig ausüben kann, eine Fingerkuppe ab. Mit halbfertigem Haarschnitt und einer fremden Fingerkuppe bleibt er nun allein mit seinen Gedanken und sollte wohl handeln. Gegenüber der Versicherung wird er wohl aussagen müssen, aber warum wird die Fingerkuppe nicht benötigt? Was passiert mit den Fotos, die der Besucher des Schreibkurses von ihm gemacht hat und wer benötigt eigentlich wen für welche Alibis? Jetzt hat Juan Pablo genug erlebt, um darüber schreiben zu können, oder ist er es selber, der sich ein Alibi beschaffen wollte? Oder schreibt er nur, um schreiben zu können?
Ein kurzer, sehr unterhaltsamer Lesespaß, der uns in eine Handlung hineinwirft, die nichts belässt, wie es ist und dabei die Wirkungskraft der Literatur beweist und uns dadurch selbst glücklich macht.
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