Eva Strasser: „Wildhof“

Ein Familienroman, der nach Frieden sucht und einen subtilen und magischen Grusel einbaut. Die Kulisse ist der Schwarzwald, der das Verzauberte, Unheimliche und gleichzeitig das Heimelige darzustellen vermag. Es ist eine Rückkehr in den Ort, wo die Zwillingsschwester verschwand. Der Heimatort birgt alte Geschichten, die überall noch lauern, vibrieren und somit ein immer lauteres Summen erzeugen. Der Wald selbst ist das Wuchernde, Wilde, in dem aber auch ein Leuchten zu erleben ist.

Lina hatte mit dem Ort und den Eltern gebrochen. Sie hat einen Schnitt gemacht und lebt in der Stadt. Doch hat sie die Vergangenheit nie ganz ablegen können, wie eine vergrabene Laune, platzt aus ihr ab und zu eine Wut. In der Großstadt baut sie ihre eigenen Welten. Meist sind es digitale, denn sie ist Webdesignerin und eine bedeutende App-Entwicklerin. Das Team ist ohne sie hilflos und dadurch ist sie sehr eingebunden, darf sich aber auch einige Freiheiten nehmen. Doch eines Tages ging sie zu weit und hat einen Praktikanten, der für seine Videos Frauen Angst machte, ihn seine eigene Angst spüren lassen. Ihre Strafe ist auf Bewährung ausgesetzt. Doch das Wilde ist in ihr weiterhin aktiv und manchmal ungebremst. Ihre Wut sucht sich im Stillen einen Kanal, wenn sie knurrt oder in der Eskalation, wenn sie Türen eintritt oder wie jenen Praktikanten aus dem Fenster hält.

Lina meidet das Elternhaus, den Wildhof, und war schon lange nicht mehr im Schwarzwald. Ihre Eltern hatten einen Verkehrsunfall und sind verstorben. Nun kehrt sie zurück und jeder Ort und jedes Zimmer birgt seine eigene Erinnerung. Es stinkt, es verwest oder es ist luftig und schön. Die Eltern waren angesehene Künstler. Die Bilder der Eltern sind weg und in Lina wachsen andere Bilder in der Erinnerung und Imagination. Besonders jenes, das sie mit ihrer Schwester zusammen gemalt hatte. Die Bilder, die Gerüche und die Stimmungen werden intensiver mit den jetzigen Begegnungen, die alle Verbindungen zu der damaligen Zeit haben. Die Freunde waren damals immer zugegen, immer um Lina und Luise und ihren Hund Sherry. An den Hund erinnert jetzt nur noch das verwitterte Kreuz im Garten. Luise ist damals, als sie dreizehn Jahre alt war, verschwunden und die Gemeinschaft hat sie lange gesucht. Die Eltern erkrankten und Lina verhärtete. Jetzt ist sie wieder da und alle Erinnerungen werden wach. Sie möchte nur aufräumen, verkaufen und wieder weg. Die Eltern werden klanglos im Friedwald beigesetzt und schnell ist das Haus annonciert und Interessierte schauen es sich an. Doch etwas wehrt sich. Lina handelt zuweilen kopflos und unbedacht, geht bei Unwetter in den Wald, um sich zu fühlen, um die alten Geschichten abzulegen, aber auch, um diesen nachzuspüren, denn plötzlich erklingt Luises Lachen, das Holzkreuz wird wieder lesbar, die Kuckucksuhr geht wieder und der alte Spielball ist aufgepumpt. Ist alles Einbildung, wie das Reh, das nur sie und ihre Schwester sehen konnten? Aber taucht die Rehkönigin nicht plötzlich wieder auf und verschwindet aus dem Blickfeld, wenn sie genauer hinsehen möchte?

Der Roman lebt von der Stimmung, die er erzeugt. Sofort möchte man mehr erfahren. Was ist damals passiert und was ist das Unheimliche, das sich heimlich und subtil in die Handlung einbaut. Doch kippt das Werk nie in verklärende Phantasiemetaphorik, sondern zaubert magischen Realismus in seine ganz eigene Struktur. Moderner Erzählstil trifft hier auf Althergebrachtes und vertieft damit das zu vermittelnde Wissen, die ganze Entwicklung und Handlung, die mit ihren Wendungen überrascht. Ein Roman zum Eintauchen und zum wohligen Gruseln, in dem die dunkle Waldkulisse sich immer mehr lichtet. 

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “Eva Strasser: „Wildhof“

  1. klingt gut! erinnert mich nicht nur vom titel her ein klein wenig an „der windhof“ von sonja roos, ein roman mit ähnlichem grund-thema, allerdings spielt er statt im schwarzwald im westerwald 🙂

Hinterlasse einen Kommentar