Anne Freytag: „Blaues Wunder“

Ein Text, der uns sehr kurzweilig die Schatten der vermeintlichen Sonnenseite des Lebens zeigt. Ein Geschäftsausflug auf einer Superyacht in den Philippinen verspricht Sonne, Strand, gutes Essen und Getränke. Doch hier passiert hinter den Kabinentüren mehr und das gezeigte Antlitz in der Gesellschaft ist lediglich eine Maske, die viele Geheimnisse, Bosheiten, Begehrlichkeiten und Verletzungen verbirgt.

Der Chef hat eingeladen. Zwei seiner wohl besten Angestellten mit ihren Frauen. Sie werden eingeflogen, um dann im Paradies eine gemeinsame Zeit auf der Yacht, natürlich benannt nach einer cineastischen Monstrosität, zu verbringen. Es ist eine Superyacht, also ein besonders groß dimensioniertes, hochseetaugliches Schiff mit Personal und ganz viel Platz. Jeder Meter kostet mindestens eine Million und hat sogar zwei Hubschrauberlandeplätze. Alles ist Show, alles soll den Luxus zeigen, der zum Lebensalltag  gehört und fast schon ordinär gewöhnlich ist. Es sind somit sieben Hauptcharaktere neben den Bediensteten an Bord. Drei Männer, einer davon der Chef und die anderen, die eigentlich direkte Konkurrenten sind. Doch sind es die Frauen, die uns ihre Sicht erzählen. Der siebte ist der Sohn vom Chef, der mit und durch den Reichtum erwachsen geworden ist und unangepasst und trotzig ist. Doch hat er auch seine Reize und versucht seinen Platz zu behaupten und wirkt einnehmend.

Die Kulisse ist die unendliche Weite des paradiesischen Meeres in den Philippinen. Hier kreuzt die Yacht durch diese unwirkliche Welt und ankert vor privaten Inseln, wo man immer unter sich ist. Klingt nach Freiheit, die aber auch bedrohlich sein kann und die Weite erhält beständig eine zunehmende Enge. Alles ist Inszenierung, denn warum sind sie hier? Warum hat der Chef gerade diese beiden Männer eingeladen? Es sind die Frauen, die jedem Kapitel ihre Perspektive schenken. Frauen, die auf Begleitung reduziert werden. Sie sollen ihre Männer glänzen lassen. Die Vertrautheit, die Zuwendung sind als Schauspiel eingesetzt, Kaum in der Kabine wandelt sich das Bild. Frauen, die sich in ihre Rolle eingefunden haben. Aber haben sie dieses Lebensspiel aus Liebe oder wegen des Status akzeptiert? Die Begrifflichkeit des Spiels wird auch immer fraglicher, denn sie sind einsam, unglücklich und unterschwellig gärt etwas. Die Männer verlangen ihre perfekte Rolle, die sie charmant einnehmen. Doch wer führt tatsächlich Regie in diesem makabren Spiel? Beim ersten Abendmahl an Deck verletzt sich eine der Frauen selbst, um zum Beispiel eine Erklärung für das Fernbleiben zu haben, da sie sich zuvor mit ihrem Mann über die Garderobe gestritten hatte. Denn auch wenn es eine angenehme und lockere Atmosphäre sein soll, ist alles reglementiert und Pünktlichkeit am Tisch und beim Ausflug wird unausgesprochen verlangt. Die Männer achten auf ihre Erscheinung und beobachten ganz genau, was der Konkurrent macht. Die Frauen beobachten, agieren und spielen mehr oder weniger mit. Die gespielte, beste Seite birgt aber ihre jeweiligen Geheimnisse und die Fassaden brechen ein. Warum wurde zu dieser Kreuzfahrt geladen? Alle erwarten etwas, alle meinen, Macht zu besitzen, die aber immer nur in Abhängigkeit zu anderen ausgespielt oder ausgenutzt werden kann. 

Die Kapitel sind sehr kurz gehalten und die Perspektiven wechseln. Somit ist es ein sehr zügiger Lesespaß. Die Handlung und die unterschiedlichen Sichtweisen sind sehr packend und handwerklich toll inszeniert. Es werden Andeutungen gestreut, die Abgründe sind wandelbar und die Klischees bestätigen sich und heben sich wieder auf. Ein böser und sehr dynamischer Trip, der an die großartigen Werke von Yasmina Reza erinnert. Das Buch verspricht nicht nur mit dem Titel ein blaues Wunder, es ist eins.

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