
„entschämungen“ von Siljarosa Schletterer
Sobald wir uns entblößt empfinden, regt sich die Scham, jene Emotion, die uns Peinlichkeit empfinden oder uns verlegen werden lässt. Sogar eine Demütigung erzeugen kann. Dies passiert, wenn der Schutzraum zerbricht. Eine Bekleidung oder eine Ummantelung, die unseren Kern vor dem äußeren Umfeld bewahrt. Die Scham nimmt Bezug auf einen inneren Prozess, wird aber viel zu oft auf das Körperliche reduziert. Auch in der Sprache ist das Körperliche schamhaft bekleidet. Somit ist der Lyrikband von Siljarosa Schletterer der Versuch, unser körperliches Gedankenkonstrukt durch sinnliche Sprache zu entschämen.
Die anatomische Begrifflichkeit geht mit dem allgemeinen Verständnis einher und begrenzt die eigentliche Wahrnehmung, Sexualität und Gefühlswelt. Die Annäherung an das Körperverständnis verlangt eine Eigenliebe. Bei der Sehnsucht nach Berührung wird Respekt, Liebe und Hingabe vorausgesetzt. Dabei ist eine Achtsamkeit nötig, damit durch die Körperlichkeit keine Verletzung verursacht wird. Diese Entschämungen benennen den Sprachgebrauch, um diesen gänzlich neu zu kreieren. Können wir der Körperliebe, mit unseren gewöhnlichen Worten verkleidet, noch trauen? Die Wortspiele der Lyrikerin und Umbrüche im Vokabular und Zeilensatz lassen uns aufhorchen und dem Sinngehalt nachspüren. Der poetische Rhythmus verwandelt den Klang und erzeugt neue Räumlichkeiten und Bezüge. Die körperlichen Zuschreibungen, die meist anatomisch ernüchternd sind und die Scham durch die Wortdistanz sachlich entkräften, werden durch diese Lyrik neu geordnet. Die Scham, die Erniedrigung wird aus ihrem Trauma durch das literarische Hinsehen befreit.
Dies ist eine Aufforderung, auf den eigenen Körper zu hören und Mut zu haben, die Stimme zu erheben. Siljarosa Schletterer hat als Lyrikerin diese Kraft und lädt uns ein, in ihre ganz eigene Poesie durch die gegliederten Kantanten zu wandeln. Es sind Liebesgedichte, die durch Klang und Inhalt die gesetzten Formen und Normen erweitern. Das Lyrikbuch wird durch drei Grafiken von Franz Wassermann ergänzt.
„Falterfragmente / Poussière de papillon“ von Franziska Beyer-Lallauret
Der Gedichtband „Falterfragmente“ von Franziska Beyer-Lallauret spielt ebenfalls mit einer Körperlichkeit. Doch keimen hier auch der Humor und das Märchenhafte. Der Falter als Sinnbild des leichten Fluges. Durch den Titel wird bereits die Assoziation mit der Buntheit, Natürlichkeit und der Zartheit gesetzt. Eine Zartheit, die in sich eine Fragilität verbirgt. Diese Lyrik ist zweisprachig, denn die Texte liegen hier in der deutschen und französischen Version vor. „Falterfragmente / Poussière de papillon“ ist auch der ganze Titel. Das Universum in diesem Werk ist überfüllt und doch schwebend und die Bestimmung der Zeilen wird auf dem ersten Blick fragmentarisch versteckt. Somit entfacht sich eine spätere Wirkung, wie es bei Poesie zuweilen erwünscht ist. Es ist ein feminines Universum mit märchenhaften Bildern. Diese Bilder wirken zuweilen verklärt und zeigen doch die Zerbrechlichkeit der Realität. Wir werden durch die Zeilen angesprochen und eingeladen, in einer vermeintlich behüteten Welt zu verweilen.
Es ist ein Gedichtband mit Bildern von Johanna Hansen und einem Nachwort von Patrick Wilden. Durch diese Lyrik schält sich ein Erkennen heraus, das uns berührt. Einiges ist überfüllt mit Bildern. Die Sprache ist raffiniert verspielt und alles ergießt sich zu einem Zusammenspiel. Der Mikrokosmos und das Natürliche versuchen hier den ganzen Kosmos einzufangen und durch den Flügelschlag der Poesie verändert sich die fragmentarische Sicht.
Rätselhaftes und Verwurzeltes sprechen von Kindheit, Heimat, Natur und unseren Träumen. Es sind eigensinnige Verse, die sich durch den Klang und die Bildgewalt in uns in Bewegung setzen. Das ganze Buch ist ein bibliophiler Wunderraum.

