Benjamin Myers: „Strandgut“

Benjamin Myers schreibt Bücher, die unsere Welt aus der Gefälligkeit heraushebeln.  Mit fast schon einfachen Bildern entfernt er den Ballast aus unserem Leben. Denn mit dem Titel „Strandgut“, direkt übersetzt „Seltene Singles“, spielt er mit Dingen, an denen wir festhalten und jene, die wir von uns lösen sollten. So ist auch die Metapher vom Strandgut zu verstehen, etwas das das Meer preisgibt, abstößt oder bearbeitet am Strand ablegt. Benjamin Myers legt uns die Entscheidungen in die Hand, etwas mitzutragen oder stets Suchende zu bleiben. Es ist ein Entwicklungs-, aber auch Musikerroman, der den Soul, also das Herz und die Seele in den Mittelpunkt stellt. Musik, Kunst und Literatur, wenn sie aus der Seele kommt, ist bleibend. Dies im Gegenstück zu den herzlos produzierten Werken, die uns einen schnellen Kick und den Produzenten viele Klicks beschaffen.

Es ist die Geschichte von Bucky und Dinah. Beide sind im Leben irgendwie als Schiffsbrüchige gestrandet. Sie in England, in dem Küstenort Scarborough. Sie ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn. Ihr Mann ist lebensuntüchtig und klaut auch zuweilen gerade in dem Laden, in dem Dinah arbeitet. Alle haben ihre Süchte, die sie am Leben halten. Der Sohn ist abhängig vom Internet und der dort kalkuliert eingesetzten Persönlichkeit aus Fernost, mit der er meint, verlobt zu sein. Dinah liebt es, im Meer zu schwimmen und sich in die kalten Fluten zu stürzen, um dem deprimierenden Alltag zu entkommen. Auch vergöttert sie die Musik und freut sich auf das anstehende Festival.

Bucky lebt in den USA und hat seine Frau verloren. Sein Körper schmerzt überall. Somit nimmt er immer Schmerztabletten. Er hat als Kind im Kirchenchor gesungen und wurde entdeckt. Er bekommt die Möglichkeit, zwei Singles mit seinen Soulsongs aufzunehmen. Doch dieser Anfang ist auch schon das Ende seiner Musikerkarriere. Durch ein Lebensdrama und ungerechte Verstrickungen landet er kurz in Haft und muss einen Verlust erleiden. Auch den Tod seiner späteren Frau erträgt er kaum. Er ist jemand, der sich stets anstellen muss, auch in der Apotheke um seine Schmerzmittel zu bekommen. Dieses Mal benötigt er eine größere Menge, denn er hat eine Einladung erhalten. Er soll seine Songs live spielen, auf einem Festival in England. Er kann es kaum glauben, aber da er das Land noch nie verlassen, noch nie live gesungen hat und noch nie am Meer war, macht er sich auf die Reise.

Dinah holt ihn am Flughafen ab und er erfährt, dass sie ein großer Fan ist und er in dieser Region, wenn nicht sogar in Europa, eine Legende ist. Seine Songs, die er damals zu einem Spottpreis verkauft hatte, sind für viele der Soundtrack ihres Lebens geworben. Er kann es kaum glauben und zweifelt an der Ehrlichkeit des Gesagten und an sich. Alles vernebelt sich in seinem Kopf. Auch, weil er im Flugzeug seine Tabletten liegengelassen hat. Somit macht er in der Fremde einen kalten Entzug. An seiner Seite steht Dinah, die sich um ihn kümmert und fit machen möchte, damit er endlich seinen ersten Auftritt erleben kann. Beide stürzen sich in die Lebensfluten und finden den Willen, es mit den neuen Gegebenheiten aufzunehmen.

Es geht um das Weitermachen, an den Glauben an sich und um die Kunst zu unterscheiden zwischen den Dingen, die wichtig und unwichtig sind. An welchen sollten wir festhalten und welche können wir getrost den Fluten überlassen? Das Althergebrachte und das tatsächlich Geschaffte sind im Leben beständiger als alles, was Schnelllebigkeit und nur kurzweilige Ablenkung verspricht. Dieser Roman ist irgendwie beides. Kurzweilige und sehr schöne Unterhaltung, die dann aber doch wie nebenbei jene Themen in uns anstößt und zum Erklingen bringt. Der Roman wurde aus dem Englischen von Werner Löscher-Lawrence übersetzt.

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