
Literatur ist es, die unsere Welt verbindet. Literatur geht weiter über die Idee für eine Geschichte hinaus. Durch Wissen und Empathie ist die Kunstform ein Portal in die Welt. Eine Welt, die mit immer mehr Erkenntnis und Geschichten beständig wächst. Philip Krömer hat einen Roman geschrieben, der etwas belebt, das uns fern ist und menschlich nah geht. „Kumari“ ist der Titel und die namensgebende Erzählerin, die allwissend und doch ungebildet ist. Sie sieht, weiß und beobachtet alles. Es ist die Kindsgöttin, die weiterhin unter uns weilt. Ihre Bestimmung wird, gleich dem Dalai Lama, durch körperliche Merkmale, Wesenheiten und das Geburtshoroskop erwählt. Die Kumari, wörtlich Mädchen, ist somit die Inkarnation einer mächtigen und furchterregenden hinduistischen Göttin, deren Tradition weit zurückreicht. Die lebende Göttin wird im Kindesalter berufen und bleibt es bis zur Menstruation. Danach muss sie sich mit einem bescheidenen Leben begnügen. Eine Schulbildung erhält die allwissende Göttin nicht. In ihre Gedanken tauchen wir ein. Sie ist es, die zu uns spricht. Laute gibt sich nicht von sich, denn es gilt für sie das Redeverbot und sie sitzt still und empfängt die Pilger, die ihr huldigen. Sie vergibt das dritte Auge und einmal im Jahr, zum großen „Dasain“ Fest, empfängt sie den König Nepals, der ihre Füße küsst. Dies ist die Zeit der Handlung im Jahr 2001. In diesem Jahr kommt es zu Unruhen und die Geschichte ist der Beleg, dass unsere Religionen, Mythen und politische Veränderungen leider immer mit Blut in Verbindung gebracht werden.
Aus ihrem Tempel heraus beobachtet die Kumari das kommende Opferfest und Nepal steht vor einer Umwälzung. Überall kocht das Blut und das Fest soll drei Tage lange gefeiert werden. Das Land und die Menschen sind mit der Kumari untrennbar verbunden. Das Kindliche trifft auf die Göttin und welche Macht obsiegt in ihr? Ihr Kontakt zur Außenwelt sind die Pilger, dennoch nimmt sie alles auf. Die Menschen planen einen Aufstand gegen den König. Zu dieser Zeit kehrt der Kronprinz zurück, er war ein Jahr auf Reisen und hat sich verändert und stellt die bestehenden Machtverhältnisse in Frage. Dann kommt, über die Berge herab, eine Rebellin mit ihrem Gefährten, der gleich am Anfang sein Leben verliert, in die Hauptstadt Kathmandu. Sie hat eine Mission und die Handlungsstränge verbinden sich.
Ein Roman von den letzten Tagen der nepalesischen Monarchie. Gewaltige menschliche und übermenschliche Kräfte wirken aufeinander und formen das Zusammenspiel. Durch den Blick einer kindlichen Göttin mit dem dritten Auge und einer umgreifenden Macht wird hier das politische und gesellschaftliche Miteinander in ein Chaos verwandelt. Ein spannender, kurzweiliger und sprachlich komprimierter Roman, der Legenden und Historie mit persönlichen Schicksalen verbindet. Es sind klare, genauestens ausformulierte Sätze, die das Beobachten zelebrieren. Ein menschliches und unmenschliches Spektakel breitet sich dabei aus und zeigt, wie wir Menschen denken, empfinden, hoffen und handeln. Ein faszinierender Roman, voller Fremdheit, Dunkelheit und mit einem Schaufenster in die Welt. Ein Fenster, das die Zeiten im Jetzt fokussiert.
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