Sara Paretsky: „Wunder Punkt“

„Wunder Punkt“ ist ein klassischer Hardboiled-Krimi von der großen Meisterin des Genres. Diese Krimis erschließen sich nicht sofort, man muss sich aber einfach fallen lassen und sich der Stimmung, dem Klang und der Handlung hingeben. Wenn man in diese Werke eintaucht, verwachsen wir zügig mit der Protagonistin V. I. Warshawski. Eine Heldin, die den männlichen Helden, wie zum Beispiel Dave Robicheaux, Jean-Baptiste Adamsberg oder Harry Bosch als Privatermittlerin, wenn nicht sogar als Powerfrau, literarisch entgegentritt. Die Krimi-Reihe gibt es schon länger, ist sogar Stoff für Verfilmungen gewesen und doch leider immer noch unbekannter. Es sind Romane, die der klassischen Noir-Literatur zugehörig sind und mit viel Humor und einer gehörigen Raffinesse geschrieben sind. Die Vernetzung innerhalb der Gesellschaft, der Handlungen und der jeweiligen Fälle spannt ein faszinierendes Netz über alle Werke. Das Alltägliche wird durch Schandtaten aufgewühlt und das meist Kleinstadtleben gerät aus den Fugen. Dabei streifen die Fälle stets aktuelle Themen wie Rassismus, Klimawandel, Wirtschaft und die soziale Verantwortung. Nicht nur durch den Hauptcharakter, sondern auch durch die Handlung, sind es feministische Texte. Ein feiner, schwarzer und zugespitzter Humor gibt den großen Themen aber stets eine Leichtigkeit und nichts wird überlastet. Es sind moralisierende Krimis, die aber genau jene Anklagen subtil der Handlung, wie ein feines Gewürz, untermischen.

Es ist ein Krimi, der voller Blut und Trauer ist und eine enorme Innenschau der Charaktere aufbaut. Das Persönliche wird dabei politisch und verwurzelt sich mit der Gesellschaft und mit den persönlichen und den wirtschaftlichen Interessen, die wiederum die Öffentlichkeit aufbauen. V. I. Warshawski, oder Victoria Warshawski, kurz Vic ist in Chicago als Privatermittlerin tätig. Ihre Weltsicht, Schlagfertigkeit und Schlagkraft sind die Triebfeder dieser Romane. Eine Frau, weniger eine Dame, sondern eine Detektivfigur, die sich im Alltäglichen behaupten muss und sich niemals scheut, die wirklich heißen Eisen aus dem Feuer zu bergen. Jeder Roman steht für sich und kann immer apart oder in zufälliger Reihenfolge gelesen werden. Alles ergibt sich in der jeweiligen Handlung und doch verweben sich mit jedem Buch die Stränge zu einem Spinnennetz. „Wunder Punkt“ fällt dabei besonders auf, denn die Aufmachung und die vorangestellte Karte geben dem Werk eine kunstvolle Haptik. Die Übersetzung stammt erneut von der Verlegerin, Else Laudan, die auch wie üblich ein lesenswertes Vorwort verfasst hat. Diese Krimis sind voller gegenwärtiger Düsterheit und doch erhellen sie unser Gemüt durch den Wortwitz und die fetzigen Dialogen. Es geht um Gier, Gewalt und Traumata. Die Autorin löst aber stets die festen Knoten mit einer gekonnten Finesse und betrachtet dabei die ganze Gesellschaft.

Die Erzählerin ist die Heldin V. I. Warshawski, die von inneren Dämonen geplagt und in ihren Träumen fast verschlungen wird. Ihre Realität wird durch diese Nachtvisionen geprägt. Doch versucht sie jene Grenzen aufrecht zu halten, um zu funktionieren. Junge Frauen, Studentinnen, fahren zu einem Auswärtsspiel nach Kansas. Das umjubelte Team siegt und es wird gefeiert. Fünf Studentinnen waren es, nun sind es nur noch vier. Die Privatdetektivin wird gebeten diese vermisste Frau lebend oder tot zu suchen. Jeder Weg verzweigt sich aber immer weiter und es kommen viele weitere Rätsel zu Tage.

Dieser Roman ist kurzweilig, aber auch ein sehr anspruchsvoller Roman, der kein gewöhnlicher Krimi ist. Geschichte, gesellschaftliche Entwicklungen und Entgleisungen werden durch aktuelle Themen bereichert und überlasten dennoch niemals die Handlung. Die Leichtigkeit und die doch bestehende Tiefe dieser Romane begeistern stets aufs Neue und sind wahrliche Kultromane.

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