
Der Klang des Lebens erklingt meist in der Stille, wenn die Töne innehalten und uns Raum geben, diesen nachzuspüren. „Die Geschichte des Klangs“ besteht aus zwei Kurzgeschichten, Kapiteln, die sich wie ein jeweiliger Akt miteinander verbinden und einen Gleichklang erzeugen, der Raum und Zeit verbindet. Dieses kleine Buch ist ein Meisterwerk der Verknappung, das aber durch die Reduktion einen enormen Klangraum erzeugt, der uns emotional sehr berührt. Aus dem Englischen wurde es übersetzt von Dirk van Gunsteren.
Die beiden verwobenen Kapitel erzählen Handlungen, die durch Musik getragen werden. Musik als Erweiterung der Geschichte. Lieder sind Erzählungen, die in einer Komprimierung der Sprache, Rhythmus und Melodie uns durch dadurch erzeugte Emotionalität reisen lassen. Diesen Kunstgriff verwendet auch das Buch von Ben Shattuck und erzeugt einen Klang, der uns still, aber innerlich laut berührt.
Es ist April 1984 und der Arzt von Lionel sagt, er solle, um der Schlaflosigkeit zu entkommen, seine Geschichte aufschreiben, die 1916 begann. Er hat ein Paket von einer ihm unbekannten Frau erhalten. Diese Frau ist Annie, wie sich in Folge herausstellen wird. Er hat drei Bücher über amerikanische Folkmusik geschrieben und somit ihre Aufmerksamkeit erlangt. Sie bewundert seine Arbeit. Sie hat ein Haus gekauft und beim Aufräumen fünfundzwanzig Wachswalzen für Phonographen gefunden, die einen Bezug zu Lionel haben. Er war Siebzehn, als er 1916 David kennenlernte. Er war im ersten Semester am New England Conservatory, als er in einer Bar David am Klavier beobachtete. David sammelt Lieder und spielt Songs, die auch Lionel kennt. David ist musikalisch sehr begabt und kann alles, lediglich einmal gehört, sofort erfassen und spielen. Lionel wiederum hat das perfekte Gehör und ist mit einer schönen Singstimme gesegnet. Beide verlieben sich und erleben miteinander die erste große Liebe. Diese wird durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Nach dem Krieg, den David an der Front erlebt hat, bekommt Lionel von ihm eine Einladung, ihn einen Sommer zu begleiten. Sie wollen durch die Natur wandern und dabei Volkslieder sammeln und diese mit Hilfe eines Phonographen festhalten. Nach dieser Wanderung bricht der Kontakt ab und Jahre später, als die Wachszylinder auftauchten, erklingt die Erinnerung und die Liebe erneut. Annie ist es, die jenen Fund gemacht hat. Sie ist ebenfalls auf der Suche nach ihrem Klang des Lebens. Ihre Sehnsucht und Zweifel erhalten im zweiten Teil des Romans ihre Zuwendung und Tiefe.
Ein Text, der mit einer Zartheit die Bedeutung des Lebens und der Liebe in uns zum Erklingen bringt. Dieser kurze Text ist bis ins Kleinste komponiert. Die Wirkungskraft der Musik und Kunst ist eng mit unseren Gefühlen verbunden und das lässt uns das Buch auf jeder Seite spüren. Ein Text, der sich nicht aufdrängt, aber der in uns eindringt und über Verlust, Liebe und Lebensmomente erzählt, die stets diverse Möglichkeiten bereithalten. Ein kleines, wunderbares Meisterwerk.
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