
Ein musikalisches, kleines Werk, das schön erzählt ist. Es sind zwei gescheiterte Lebensläufe, die zueinander finden und sich ergänzen. Es ist eine Neuausgabe der 2020 erschienenen Novelle „Federico Temperini“ – siehe meine damalige Besprechung auf leseschatz.com.
Der Ich-Erzähler ist Jürgen Krause. Er hadert mit seinem beruflichen und privaten Lebenslauf und ist Taxifahrer in Köln. Seine Ehe ist gescheitert und eine seiner größten Sorgen ist, dass sein Sohn, Leo, sich mehr zu dem neuen Lebenspartner seiner Exfrau hingezogen fühlen könnte, als zu ihm, dem eigentlichen Vater. Eines Tages erhält er einen knappen und bestimmten Anruf von Federico Temperini, der ihn als Fahrer, fast schon als Chauffeur, buchen möchte. Federico Temperini zahlt für den ganzen Abend und möchte lediglich zur Philharmonie gefahren werden. Jürgen Krause soll draußen warten, denn es ist ungewiss, ob der Fahrgast bereits vor Ende des Konzertes heimgefahren werden möchte. Federico Temperini bucht immer wieder diese Fahrten. Die Annäherung der unterschiedlichen Männer geschieht tänzelnd. Oft sind es die wortkargen Kritiken, die Temperini zu dem soeben gehörten Konzert zum Besten gibt. Doch sind diese stets von einer sachlichen Präzision. Wer ist dieser sonderliche und mystisch wirkende Fahrgast?
Der Vater von Jürgen Krause war Chauffeur und hatte viele Berühmtheiten gefahren. Auch Eric Clapton, dessen Biografie Jürgen Krause gerade liest. Nun wird er durch Temperini erstmalig mit der klassischen Musik in Berührung gebracht. Die Neugierde wächst, auch weil immer wieder das Gespräch auf Niccolò Paganini gelenkt wird. So ist Krauses derzeitiges gehörtes Saitenwunder Clapton berühmt durch seine ruhige, langsame Spielkunst auf der Gitarre. Dagegen wurde Paganini, der berühmte Geigenvirtuose, bereits zu Lebzeiten durch seine ekstatische und brillante, ausufernde Spieltechnik zur Legende. Die Gitarre und die Geige sind zwei Bilder dieser beiden unterschiedlichen Männer, die sich durch die Taxifahrten und gemeinsame Spaziergänge anfreunden.
Hier trifft das Vergangene auf die Moderne. Immer mehr bekommt Krause von Temperini Informationen über das Leben von Paganini in Form von diversen Dokumenten zugespielt. Krause erhält somit gedruckte Medien anstelle von Internetinformationen. Er, der ständig in Köln mit dem Wagen unterwegs ist, kauft auch selbst noch lieber im Internet als im Handel. Er nutzt oft das Telefon, ohne mit den Menschen wirklich zu reden. Dies wird ihm langsam immer bewusster. Er erfährt immer mehr über Federico Temperini und dessen Handverletzung, die er beständig zu kaschieren versucht. Bis Temperini plötzlich bei einer gebuchten Fahrt nicht auftaucht…
Es geht um Verlust, Freundschaft und Anerkennung. Der Text ist eine kleine Bühne für einen Moment des Stillhaltens und der Betrachtung des Gegenwärtigen.
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