Christopher Ecker: „Die leuchtende Reuse“

Ein pensionierter Lehrer gerät in ein Abenteuer, das sein Leben und die Wirkungskraft der Literatur in ein verrücktes Labyrinth wirft. Mit jedem Kapitel verändert sich die Umgebung, Wände verschieben sich und die Aussichten werden erneut sortiert. Die Welt der Literatur besteht aus Büchern und aus der Visualisierung durch Film und Theater. Besonders die Bühnenkunst ist eng an die Lebendigkeit des individuellen Lesens gebunden. Damit spielt Christopher Ecker und erzeugt Bilder, die an Murakami, Poe oder sogar an Kafka erinnern. Die Spannweite seiner verwendeten Verweise ist stets mannigfaltig. Das Erkennen seiner Anspielungen ist aber niemals nötig, um seine Literatur zu verstehen. Wenn wir diese erahnen, macht es einfach nur noch viel mehr Spaß. Seine Werke bespielen immer den Grad zwischen Unterhaltung und anspruchsvoller Literatur und mit „Die leuchtende Reuse“ findet alles seinen Anfang. Ecker schreibt Romane, Lyrik, Kurztexte und nutzt auch die Fabel, um seine Geschichten zu fabulieren. „Die leuchtende Reuse“ ist eine Neuveröffentlichung, es ist die vom Autor neuüberarbeitete Ausgabe von 1997, die mit einem Nachwort von Kai U. Jürgens ergänzt wurde.

„Die Leuchtende Reuse“ ist somit in der Ecker-Welt der Anfang und beinhaltet schon alles. Seine kommenden Werke finden hier einen Wiederhall und sein geübter Blick verbindet sich in einer Welt, die Realität und magischen Realismus vereint. Alles ist möglich, alles ist ein Gedanke, ein Witz oder ein philosophisches Bildnis. Alles ist aber mit sehr viel Hingabe geschrieben, so dass sich uns nichts verschließt, sondern alles gefügig und lesbar ist. Das Versteckte zeigt sich dem geübten Ecker-Leser oder gärt im Unterbewusstsein der hinzugewonnenen Buchmenschen, die seine Welt erneut oder wieder entdecken dürfen. In seiner Literatur zeigt sich die reale Welt, die eine Kehrtwende zum Unmöglichen macht und das Surreale und Phantastische einlädt, um unsere Gegenwart zu verzaubern oder zu entzaubern. Diese Ausgabe ist somit eine Wiedereinkehr in seine Sprachwelt oder die Möglichkeit, seine Literatur neu für sich zu entdecken.

Das ganze Buch ist ein Labyrinth aus kurzen Kapiteln, die wie ein Krimi beginnen. Doch das Kriminalistische löst sich zügig auf und verwandelt sich in ein kunstvolles Mosaik, das Hieronymus Bosch gemalt haben könnte. Dabei kommt aber der Spaß niemals zu kurz, denn unser Leben ist zuweilen wie ein Witz. Ein Witz, der aber unserer gegenwärtigen Gesellschaft zu oft erklärt werden muss und somit seine Pointe verliert. So lernen wir auch Josef Gripke kennen. Ein ehemaliger Lehrer, der einem Nachbarsjungen versucht einen faden Witz schmackhaft zu machen. Der Junge ist selbst in seiner Welt gebannt und kommuniziert gerade mit dem Straßengully. Gripke erfährt von seinem Freund Richard van Aaken, einem Schauspieler, der in einer Klinik ist, dass dessen Zimmernachbar Rescher auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Rescher habe sich, trotz der Fixierung buchstäblich in Luft aufgelöst. Ebenso ist dessen Lektüre von einem  Arthur Machen, „The four Impostors“, vom Nachttisch verschwunden. Die Rätsel faszinieren Gripke und er beginnt, Detektiv zu spielen. Die fehlende Lektüre hat eine ähnliche Historie wie einst die Entstehungsgeschichte um „Tausendundeine Nacht“. Wer erzählt wem hier Geschichten und welche Geschichten sind hinzugefügt oder gänzlich ersponnen? Der eigentliche Erzähler meldet sich auch dezent zu Wort und erklärt, dass Gripke ein guter Freund ist. Ist der Erzähler jener Fischer, der wie der König der Fischer im Parzival-Universum auf Mitgefühl hofft? Gripke besucht die Frau des verschwundenen Rescher und erfährt, dass dieser unter Rommel innerhalb einer Luftlandeeinheit in Afrika stationiert war. Diese Einheit ist 1942 in der Wüste spurlos verschwunden und einige sind erst Jahre später wieder aufgetaucht. Wiederholen sich die Ereignisse? Von einem Experten erhält Gripke eine Namensliste der Wiederkehrer und beginnt anhand dieser die damalige Geschichte zu rekonstruieren, die in der gegenwärtigen Welt von Gripke von Bedeutung sein könnte. Die Handlungsverläufe werden immer vielfältiger und die Magie des Lebens gewinnt immer mehr an Gewichtung. Eine Magie, die aber zwischen Realität, Fiktion und Phantasie verweilt. Gripkes Frau, die auf Kur ist, aber ebenfalls einen Schatten verbirgt, ruft ab und zu an. Dabei ist Gripke selbst durch eine Frau in der Wand seines Haus abgelenkt. Die Sinne werden beim Lesen angespitzt und vollziehen einen Sinneswandel. Was ist Wirklichkeit? Ist der Fischer eine Figur, die alles erträumt, fixiert oder die Figuren wie Marionetten tanzen lässt? Die Reuse ist geflochten und sie fängt uns ein und beginnt immer mehr zu leuchten. Doch ist diese Reuse wohl auch nur ein Tunnel mit einem Ende aus Licht. Letztendlich ist es Christopher Ecker, der die Reuse ausgeworfen hat.

Eckers Romanwelt überfordert nicht. Sie unterhält und erzeugt Spannungen, die uns unsere Welt begreifbarer machen können. Ecker verneigt sich mit seinen Werken vor Poe, Kafka und vielen anderen Meistern, ohne uns damit zu überbeanspruchen. Er verwebt die Unterhaltung mit Spielereien und lässt uns dann mit unseren Gedanken in unserem noch luftleeren Raum stehen. Diesen Raum füllen wir mit jeder neuen Lektüre. Ecker erzeugt Welten, Typen und klangvolle Gedanken und ist wohl eine gebürtige Antwort auf die Buchwelt von Murakami. Er lebt und schreibt hier bei uns an der Kieler Küste – also sei mein Aufruf erlaubt, der jetzt den Bogen zu Helge Schneiders „Schwedenurlaub“ spinnt: „Rein in die Reuse“.

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