Lou Bihl: „Nicht tot zu sein, ist noch kein Leben“

Literatur verspricht Unterhaltung und ist nebenbei stets ein Portal in neue, andere oder verdrängte Gedankenwelten. Durch Empathie erhalten wir einen Zugang zu neuen Empfindungen und Wissen.  Lou Bihl schreibt fast schon sachlich und erzeugt gerade dadurch einen Gefühlsraum und öffnet unseren Horizont über ein bewusstes, aber ins Unterbewusste verbannte Thema.

Ein Roman, der uns auf ganz besondere Weise herausfordert. Im Mittelpunkt steht das Leben, das selbstbestimmte und freie Leben. Dies hat aber auch eine andere Seite, denn wenn das Leben als selbstbestimmtes empfunden werden soll, was ist mit dem Tod, dem Sterben? Ein spannendes und meist ausgespartes Thema, das uns wirklich alle berührt. Leben, Liebe und der Tod sind die Kernthemen der Literatur und doch kreisen wir oft um das individuelle Sterben und besonders um den assistierten Suizid. Juristisch versuchen wir stets Klarheiten und Grenzen zu legen. Doch was ist tatsächlich ethisch, würdig und individuell aushaltbar?

Die Autorin ist Ärztin und Verfasserin von zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln. Ihre langjährige Betreuung von Krebspatienten verschaffte ihr Einsichten in unterschiedliche medizinische und persönliche Schicksale. Seit ihrem Rückzug in ihr Privatleben schreibt sie literarische Buchbeiträge mit ihren Themen und schaut genau in die Komplexität unserer menschlichen Psyche. 

Die Handlung beginnt 2024 als Helena Julian wiedersieht. Eine kurze Konversation und Helena, meist Lena genannt, erinnert sich. Julian war der Mann ihrer besten Freundin und Scham, Sprachlosigkeit und ein Fluchtinstinkt setzen bei ihr ein. Die Geschichte hat ihren Anfang im Jahr 1988 als Helena und Marlene, kurz Lena und Lene, sich kennenlernen. In einem Studentenheim werden sie Zimmernachbarn und die Freundschaft wird sehr eng und liebevoll. Helena wird eine engagierte Hausärztin und macht eine Zusatzausbildung in Palliativmedizin. Marlene wird eine erfolgreiche Wissenschaftsjournalistin, nachdem sie ein Pharmazie- und parallel ein Studium in Journalistik abgeschlossen hat. Ihre Freundschaft erlebt ein beständiges Wechselspiel durch Nähe und Enge. Mal räumlich durch die Entfernungen und auch wiederum durch Streitigkeiten, die aber niemals die Verbindung zueinander lösen. Die räumliche Trennung kommt durch die Zeit, die Marlene in den USA verbringt. Als Marlene nach Deutschland heimkehrt wird die Bindung verstärkt. Helena ist bereits verheiratet und hat eine Familie gegründet. Beide erleben Schicksalsschläge, die schmerzhaft sind und Marlene erkrankt an einem bösartigen Brustkrebs. Marlene bittet Helena um Hilfe, als Freundin und als Ärztin. Als die Hoffnung auf Heilung schwindet, wird aus dem Betreuungsversprechen ein ausschweifendes und schwieriges Thema, das alle belastet.

Trotz des Themas ist das Buch voller Leben. Vor den Einschnitten wird der Werdegang der Freundschaft mit viel Liebe beschrieben. Somit wird das Leben wirklich gefeiert, auch wenn das Ende uns allen deutlich vor Augen steht. Wie gehen wir damit um, was machen wir individuell oder als Gesellschaft daraus?

Dieser Roman sticht durch die Stimmung und die Gedankenbeispiele aus der allgemeinen Unterhaltungsliteratur stark hervor und regt an, sich Gedanken über das Leben und die Selbstbestimmung bis zum letzten Moment zu machen.

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