
Alessandro Baricco gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen Autoren Italiens. Lange war es um ihn herum still geworden, doch nun hat er ein Wunderwerk verfasst und verpasst einem althergebrachten Genre einen frischen Anstrich, erfindet dieses fast neu und gibt ihm das Literarische zurück. Es ist ein Western, aber was für einer. Einer, der mit einer Kunstfertigkeit geschrieben wurde, die eine enorme Vielschichtigkeit beinhaltet und philosophisch die Grundfragen des Lebens beleuchtet. Helden, die belesen sind und gleichzeitig es verstehen, mit den Waffen zu sprechen und dabei Philosophen zu zitieren. Das gab es bisher kaum oder selten. Dieser kurze Roman ist episch und dennoch episodenhaft. Er verzaubert und ist bildgewaltig und man möchte diesen eigentlich mit dem Soundtrack von Ennio Morricone lesen. Denn es ist ein italienischer Western der Extraklasse. Der Stoff ist aber wohl schwerlich zu verfilmen. Dennoch hat man beim Inhalieren sofort alte Filmhelden im Kopf, die nun plötzlich alle Facetten des Lebens durchlaufen.
Abel Crow ist eine Legende. Er ist der Sheriff einer Kleinstadt und ist siebenundzwanzig Jahre alt. Seine Mutter wurde wegen einer Angelegenheit mit Pferden erhängt. Seine Erinnerungen an die Kindheit sind auch mit einer enormen Kälte verbunden, und das körperliche Erwachen war fast zu eng an die Mutter gebunden. Er leidet unter schlaflosen Nächten und hat seine Geheimnisse, von denen wohl nur seine große Liebe, die geheimnisvolle Hallelujah Wood, weiß. Schüsse werden in seinem Leben nicht nur für die Jagd oder zum Töten angewendet, sondern auch um Aufmerksamkeit zu erlangen. Er wurde zu einer Legende, als es zu einem Banküberfall in seinem kleinen Städtchen kam. Die Täter traten aus der Bank im diffusen Licht und schleiften Geiseln mit sich. Abel und seine Stellvertreter stellten sich diesen in den Weg. Abel erkennt sofort, dass eine der Geiseln, der Bankdirektor, wohl beteiligt am Überfall ist und seine Geiselnahme nur mimt. Die Räuber treten arrogant auf und haben nicht alle eine benötigte Schläue und Abel kann mit zwei Pistolen gleichzeitig zwei verschiedene Ziele treffen und das Schauspiel beenden.
So beginnt die Geschichte des Helden Abel, der zur Legende wurde und seine Liebe sucht. Hallelujah Wood liebt ihn auch, bleibt aber unerklärlich und geht immer wieder fort. Seine Geheimnisse und Vergangenheit fordern ihn heraus und er muss sich diesen und weiteren Abenteuern stellen.
Alessandro Baricco gibt dem Western ein ganz neues Gewand und stellt innerhalb der sprunghaften und szenischen Handlung existentielle Fragen. Alles ist spannend, schön und klug aufeinander abgestimmt. Alessandro Baricco wurde 1958 in Turin geboren. Er studierte Philosophie und Musikwissenschaften. Er hat Romane und zahlreiche Essays, Erzählungen sowie Dramen verfasst. Sein bekanntestes Werk ist „Seide“. Mit „Abel“ meldet er sich nun ungewöhnlich und doch mit einem passenden Knall zurück. Das Werk übt eine Faszination aus und durch die kurzen Kapitel werden wir in einen Strudel gerissen, der den üblichen Western belebt, verändert und vertieft. Der italienische Western war somit nie weg oder vergessen und ist, zum Glück, immer noch gegenwärtig. Übersetzt von Annette Kopetzki.
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