Karsten Krampitz: „Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung“

Ein Roman, der uns eine Welt erschließt, die nicht wirklich fern ist und doch meist unbeachtet neben dem gewöhnlichen Alltag verläuft. Es ist ein Ruf nach einem freien und unabhängigen Leben. Ein Roman, der vieles verbindet. Es ist ein Roman, der von einem Zusammenleben erzählt. Es ist ein außergewöhnlicher DDR-Roman und wurde inspiriert durch wahre Begebenheiten. Eine Kommune, die wie aus einer Utopie zu stammen scheint und aus einer Gemeinschaft von Menschen besteht, die Freiheit suchten und den damaligen Normen und üblichen Vorgaben entkommen wollten. Gegründet wurde die Wohngruppe von Behinderten. Die Nichtbehinderten, die „Latscher“, sind Systemaussteiger die innerhalb der Kommune leben und somit die Behinderten, sofern nötig, im Alltag unterstützen. Alles wird geteilt, die Bücher, das Essen, die Musik und die Rente oder die finanzielle Unterstützung.

Es beginnt mit einer Feier, einer Hochzeit und einem Konzert. Eine Band spielt lauten Bluesrock und die ganze Kirche feiert taktvoll und lauthals mit. Es ist keine wirkliche kirchliche Trauung, aber eine die Wirkung zeigt. Mittendrin Rollstuhlfahrer und ein Mann, der den Raum erfüllt und den alle zu kennen scheinen. Alles fühlt sich gut und leicht an. Es ist, wie der gerade gespielte Song der Band, ein kleines Paradies im Hier und Jetzt.  Doch gleich nach der Feier erklingt das Telefon, alles unterliegt den Kontrollen, den Spitzeln. Die Stasi war ein Gespenst, ein gesellschaftlicher Geist, der immer da war, aber meist unsichtbar und unheimlich. Doch keimt auch innerhalb der wirklichen Kommune etwas Stolz mit, dass gerade sie es sind, die auffallen und das Staatliche provozieren. Sie, die nur frei sein wollen und ihr Recht auf unabhängiges Leben fordern und innerhalb der Gemeinschaft das auch zu leben versuchen.

Ende der 70er Jahre in Thüringen leben behinderte Jugendliche in einem Heim. Nachdem sie volljährig geworden sind, haben sie die Wahl, in ein Altersheim zu gehen oder zurück zu den Eltern. Die Freunde beschließen auszubrechen. Sie wollen frei sein und ein selbstbestimmtes Leben führen. Der Staat bewilligt ihnen eine Rente und Pflegegeld. Das wollen sie in einen Topf werfen und Pfleger finanzieren. Dies sind Leute, die auch nicht in das gängige System passen. Ein Haus erhalten sie von der Kirche. Es entsteht eine gelebte Utopie aus Hippies, Punks und freiheitsliebenden Menschen. Da das Geld knapp bemessen ist, entsteht auch auf dem Grundstück die Form der Selbstversorgung.

Karsten Krampitz vermischt Fiktion mit Wirklichkeit. Die Grenzen lösen sich auf großartige Weise auf und wir werden Zeitzeugen, die jene Ereignisse geistig, emotional und sogar sinnlich mitverfolgen können. Der Autor schrieb für Straßenzeitungen, ist Schriftsteller, Historiker und Journalist. Er ist Mitbegründer von „Mondkalb – Zeitung für das Organisierte Gebrechen“ und ist dort mit den tatsächlichen Mitbewohnern der Kommune in enge Berührung gekommen. Doch ist „Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung“ ein Roman und die Geschichte dient der erzählten Handlung, die erfunden und frei von den wirklichen Begebenheiten in Hartroda ist.

Die Kommune in Hartroda ist Mittelpunkt der Ereignisse und das Leben der damals „Aussortierten“ strahlt bis in unsere Gegenwart. Im Roman sind es Gruns und Mozek die im Mittelpunkt stehen. Gruns, der unter Muskelschwund leidet und körperlich abhängig ist von Hilfe. Er hat kein Abitur, aber dennoch einen Abschluss in Theologie und darf somit als ausgebildeter Prediger agieren. Dies kommt der feierfreudigen Gemeinschaft gerade recht, denn Gottesdienste müssen nicht polizeilich angemeldet werden. Mozek pflegt Gruns und ist innerhalb der Gemeinschaft eine Konstante. Er ist ein stiller Mensch, der nebenbei Fernschachturniere betreibt. Diese werden postalisch ausgeführt und somit zeigt sich am Ende des Romans, das die DDR nach ihrem Zerfall sogar noch etwas gewinnen konnte. Mozek ist ein Introvertierter, da er ein ehemaliger Grenzer war und mit seinen Schuldgefühlen hadert.

Der Roman zeigt unglaublich viele Facetten, die belebt werden durch Schicksale der damaligen Zeit. Alles wir mit viel Empathie, Humor und Verständnis erzählt. Manches ist episodenhaft und ergänzt lediglich die Handlung im Großen und Ganzen. Es ist ein Roman, der zeigt, wie ein menschliches Zusammenleben möglich ist. Wie Integration und ein Miteinander sich aus der Utopie verabschieden können und diese Wirklichkeit wird. Ein Roman, der Spaß macht und sehr viele Gedankenportale öffnet. Ein wichtiges und unbedingt lesenswertes Werk.

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