
Alles beginnt wie ein Küstenkrimi. Doch weiß der Drehbuchautor, Cineast und Literat Andreas Pflüger, was wirkliche Spannung bedeutet und der Anfang ist nur ein humorvoller Hinweis auf ein betuliches Genre, das der Großmeister dann gehörig umpflügt. Denn er pflügt erneut durch die Geschichte und selten wurden Romane spannender geschrieben. Sofort sind wir der Handlung und den Protagonisten verfallen und können uns nur noch wundern, warum die friesische Witterung plötzlich in einen Kugelhagel umschlägt und Amrum Ausganspunkt für globale Ereignisse ist. Pflüger verwebt Historisches mit Fiktion. Auch gibt es Hinweise zu seinen vorherigen Werken, doch ist keinerlei Vorkenntnis nötig, um diesen Roman gänzlich zu genießen.
Es ist der Geburtstag von Luzy Morgenroth. Sie lebt seit Jahren auf Amrum. Sie ist Provinzpolizistin, die sich mit ihrem Kollegen um meist kleinere Delikte kümmert. Während der Inselsaison bekommen sie Verstärkung, aber nicht in den ruhigeren Monaten, denn dann sind es lediglich die Einheimischen, die mal zu schnell fahren, etwas zu viel getrunken haben oder Jugendliche, die ihre Grenzen auslotsen. Sie sind als Polizisten stets mit dem Festland im Kontakt und teilen sich sogar mit Föhr das technische Equipment, um zum Beispiel überhöhte Geschwindigkeiten messen zu können. Das Leben auf der Insel ist geprägt von einem Miteinander, auch im Revier. Luzy weiß, dass ihre Freunde eine Überraschungsparty geplant haben, doch spielt sie überrascht, als sie zu einem Einsatz in einer der Dorfkneipen gerufen wird. Es ist Herbst im Jahr 1989 und an diesem Tag hatte sich ein Gast mit falschen Papieren im Hotel „Deichgraf“ einquartiert und die Insel bereits wieder verlassen. Luzy ist plötzlich alarmiert und als dann auch noch ein Anruf während der Feierlichkeiten eintrifft, dass der Bruder der Gastronomin von der Fähre verschwunden ist, erwacht in Luzy ein alter Raubvogel. Der Verschwundene arbeitet auf der Fähre und war im Hafen von Dagebüll, sowie beim Zwischenstopp auf Föhr noch an Bord. Danach ist er verschwunden. Hat er einen Suizid begangen, weil er einen unverwundbaren Verlust seit Jahren betrauert oder war er bestimmten Menschen im Weg? Denn die Recherche zeigt, dass ein gemietetes Fahrzeug aus Kiel mit dubiosen Menschen die Insel erreicht hat. Luzy, die auf Amrum lediglich untergetaucht war, ist wieder hellwach. Der Gast mit den falschen Papieren, jenes Fahrzeug und der spätere Leichenfund, lassen sie auf ein Killerkommando schließen. Doch wer ist das eigentliche Ziel? Ein Sturm macht die Abreise aller Betroffenen vorerst unmöglich und der verliebte Kollege von Luzy geht etwas zu naiv einer Spur nach und plötzlich kommt es zu einer gefährlichen Eskalation. Luzy ist wieder die Alte und denkt in ihren alten Mustern. Sie verlässt nach einigen Jahren Verschnaufzeit das Eiland und begibt sich in ihr wahres Leben. Luzy, die einfache Inselbeamtin entpuppt sich als Agentin, als Frau, die immer an der Front tätig war und kein einfaches, bürgerliches Leben führen konnte. Die Zeit auf Amrum war ein kurzes Geschenk, denn sie findet bei den Tätern auf der Insel einen Hinweis, dass ein alter Feind und Gegner anscheinend wieder da ist.
Pflüger pflügt und springt durch Ereignisse, Zeitgeschichte und Handlungsorte. Anfänglich von Amrum zur BKA-Zentrale und einem israelischen Ausbildungscamp. Doch dann öffnen sich viele weitere Wege, Möglichkeiten und Zielorte. „Kälter“ ist ein unglaublich fesselnder Thriller, der nicht mit Spannung und Humor geizt. Ein Kollege fragt in der Handlung, wo Luzy es gelernt habe, so zu denken. Diese Frage stellt sich nun dem Leser und wir möchten den Autor fragen, woher er seine ganzen Kenntnisse hat. Denn neben musikalischen und cineastischen Anspielungen, ist das Buch voller damaliger Ereignisse, die sich lediglich nur der Handlung angepasst haben, und akribisch erarbeitetem Wissen früherer Spionagetätigkeiten. Ein wunderbarer und toll recherchierter Spannungsroman, der uns förmlich ein- und aufsaugt.
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