
Ein Roman, der uns hineinzieht in eine dunkle, aber auch lichtvolle Welt. Hoffnung wächst aus dem Drama und ganz langsam verliert sich der Schmerz, die Einsamkeit schwindet und die Menschlichkeit wird spürbar. Eine Geschichte, die uns fühlen und an unser Miteinander glauben lässt. Die Liebe überstrahlt hierbei alles und vermeidet den Kitsch. Denn der Ursprung keimt in der Shoah, dem Holocaust und doch ist es ein Roman, der das Überleben zelebriert. Es ist ein Werk, das das Leben feiert, das Leben danach, das Leben als Heimkehrer, der das Grauen überlebte.
Ein historischer Roman über das Überleben der menschlichen Gräueltaten und ein Liebesroman. Der Autor möchte in seinem Text viel integrieren und schafft diesen Tanz gekonnt und öffnet durch die Geschichte nach dem Holocaust eine ungewöhnliche und mutmachende Perspektive. Ein beeindruckendes und überwältigendes Debüt über einen Neuanfang.
Es ist Mai 1945 und Petr kehrt in seine Heimatstadt Prag zurück. Als Auschwitz-Überlebender kann der Siebzehnjährige die um ihn herrschende Siegesfreude und Aufbruchstimmung nicht gänzlich verstehen. Der Zukunftsoptimismus hat keinen Platz für einzelne Schicksale und die Bürokratie ist ein Beschleuniger der Vergangenheitsverdrängung. Das jüdische Schicksal hat sich dem System erneut einzugliedern. Mit einem Kohlenzug erreicht der junge Mann, der geschändet und naiv die Realität erfassen lernt, seine alte Heimat. Er weiß, auch seine Familie muss überlebt haben und hofft, diese auch bald Zuhause anzutreffen. Doch sein Elternhaus wurde von den Behörden an andere Mieter vergeben, denn seine Familie habe ja „freiwillig“ den Wohnort verlassen. Völlig entkräftet und entwürdigt, kann sich Petr nicht behaupten und benötigt Hilfe, die er auch bekommt. Durch eine liebevolle Frau, die behördlichen Einfluss hat, erlangt er eine neue Zuflucht, die er mit weiteren Heimkehrern teilt. Da durch den Krieg und die damaligen grauenhaften Bestimmungen alles jüdische Leben unmögliche wurde, fehlen sämtliche Papiere, die eine eigentliche Legitimation ermöglichen würden. Erneut ist es die Bürokratie und die eigene Machterhaltung der Entscheidenden, die den Rückkehrern das Leben schwer macht. Gegen diese äußeren Widerstände und das eigene Trauma beginnt Petr den Weg zurück ins Leben. Sein Mitbewohner unterstützt ihn durch sportliches Training und durch die allgemeine Zuwendung kommt er immer mehr zu Kräften. Jeden Tag liest er die Nachrichten und hört die Meldelisten im Radio ab, um zu erfahren, ob seine Familie ebenfalls bald heimkehrt. Er sitzt stundenlang am Bahnhof und hofft auf das Eintreffen seiner Eltern. Namenslisten werden zu seiner Obsession und dabei verliert er den Blick auf das eigentliche Leben. Jenes Leben, das unmerklich den empfundenen Schmerz zu minimieren versucht und die Einsamkeit jeden Tag weiter verringert. Petr begegnet bei einem Planungsessen Ilse. Eine zarte und kluge Erscheinung, die ihn bei weiteren Begegnungen immer mehr Fasziniert. Er verliebt sich in sie. Ilse ist eine junge Jüdin aus Prag, die die tschechoslowakischen Behörden rückwirkend als Deutsche eingestuft haben. Ihr droht eine Ausweisung und sie muss in einem Heim wohnen und ein entbehrungsreiches Leben führen. Petr ist zu oft auf sein eigenes Schicksal fokussiert, um ihre Sorgen gänzlich zu begreifen. Die Wahrnehmungen kehren sich um und eine menschliche Entwicklung und Reise stehen beiden bevor.
Ein wichtiger Text, der das Menschliche neben dem Unmenschlichen wachsen lässt. Die Erinnerungen an das Leben in Auschwitz blitzen nur kurz auf, denn es geht im Roman um das mögliche Leben danach. Liebe ist ein Heilmittel und kommt hier nicht als Verklärung vor, sondern als Triebkraft zum Überleben. Die Liebe zur Familie und zu jener neugefundenen. Das Körperliche beginnt in der Auszehrung, dem Schmerz und der Kraftlosigkeit, um den Bogen zur gestärkten Individualität und sogar zur Erotik zurückzufinden.
Eine lesenswerte und emotionale Reise durch das Nachkriegseuropa bis nach Palästina. Ein spannender und begeisternder Debütroman, der vieles zu verknüpfen versteht und in allen Szenen spannend erzählt ist. Aus dem Tschechischen wurde der Roman von Raija Hauck übersetzt. Ein überwältigendes Werk.
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