
Ein sanftes und sehr bewegendes Werk. Es geht um jene Schicksalsschläge, die unser Leben gänzlich verändern und drohen es zu zerschmettern. Doch gerade in diesen Momenten, sind wir gegenwärtig und sind in der Wahrnehmung gleich einer schwebenden Brücke, die nichts verbindet und doch da ist. Bis die Brücke sich senkt und der Weg begehbar wird und der Blick zurück sich auch klarerer gestaltet. Diesen verlängerten Augenblick hält Maike Wetzel fest. Ein Moment, in dem Blütenblätter wie Schnee fallen und dadurch den eigentlichen Schrecken verbergen möchten.
Maike Wetzel erzählt davon, was es bedeutet, langsam das Unfassbare anzunehmen, zu erkennen und zuzulassen und dabei für die Kinder funktionieren zu müssen. Diese Autofiktion reicht aber noch weiter und tiefer. Das Zerbrochene fügt sich wiederzusammen und der persönliche Wiederaufbau nach der Katastrophe beginnt. Somit ist dieser Roman ein ganz persönliches Werk der Autorin, die ihre eigenen Erlebnisse in Literatur verwandelt und ein wunderschönes, trauriges und mutiges Gesamtkunstwerk erschaffen hat.
Ein Sonntag dient der Familie zur Flucht aus dem Stadtleben. Ihr Mann hat zum Geburtstag Geld für ein Boot erhalten. Eigentlich missfällt der Erzählerin die Zeit ihres Mannes auf See, denn dann ist der Architekt noch weniger Teil der gemeinsamen Familienzeit. An diesem Tag lässt er das kleine Boot mit seinem Bruder zu Wasser. Die Erzählerin bleibt mit den Kindern am Ufer auf der Picknickdecke sitzen. Die Idylle kippt bereits als einer der Söhne das Boot nicht mehr sieht und meint, sein Vater sei mit dem Boot gekentert. Doch glaubt sie ihm vorerst nicht, denn es ist doch nur ein See. Doch gab es auf dem Gewässer ein Unglück und der Vater wird vermisst. Sein Bruder konnte geborgen werden. Nun sitzt die Mutter, die Erzählerin, mit den kleinen Kindern im Arm auf der Picknickdecke. Sie glaubt nicht, hält daran fest, man mache einen Scherz mit ihr. Während ihr Mann gesucht wird und Hubschrauber über ihr kreisen, beginnt sie zu reflektieren. Wie aus weiterer Ferne betrachtet sie in einem schwebenden Zustand ihre Situation und ihr Leben mit ihren Mann. Ihr Ehemann ist ein Lebenspartner, ein Gegenstück, das nun aus ihrem Leben gerissen wurde.
Mit ganz viel Gefühl und klugem Sprachgespür wird hier eine emotionale Geschichte erzählt, die ohne Schreie, ohne tatsächliche Verzweiflung auskommt. Die Gefühle sind da: Wut, Trauer, Melancholie und Schmerz. Doch keimt auch ein Danach auf und die Stärke, zumindest für die Kinder, lassen die Erzählerin, die Mutter und Autorin aufstehen. Das eigentlich sprachlos Machende, das Unmittelbare wird nun zu einer schön erklingenden Literatur. Ein authentischer, ergreifender und aufwühlender Text über die Schönheit, die Liebe, den Tod und die Bewältigung.
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