Wolfgang Wissler: „Straffers Nacht“

Ein Roman, der unser Gerechtigkeitsempfinden auf die Probe stellt. Ein düsteres und brutales Werk, das die Frage stellt, wo sie geblieben sind, die damaligen Täter, die sich in der Gesellschaft versteckten und angaben, nur Befehle ausgeführt zu haben. Kann aus Gnadenlosigkeit Skrupel erwachen? Der Roman spielt Anfang der sechziger Jahre und das Wirtschaftswunder zeigt seine diabolische Wahrheit. Denn wer zum Beispiel im Café ein Getränk bestellte oder im Wartezimmer eines Arztes saß, konnte nicht ausschließen, dass der Kellner oder jener Arzt ein Massenmörder war.

Der Roman schleudert uns in die Welt eines Nachtwächters, der in der Dunkelheit seine Kreise zieht und seinen Gedanken nachgeht. Er ist einer der Menschen, die von der Justiz ungesehen und ungestraft durchs Leben wandern. Er, der damalige SS-Gruppenführer, der sich mehrfach schuldig gemacht hat und nun am Tage bangt, erkannt zu werden.  

Erich Straffer ist Nachtwächter. Er zieht seine Bahnen durch die Kathedralen gleichen Hallen. Die Produktionen sind wichtig und die Öfen dürfen nicht ausgehen. Deutschland erlebt das Wirtschaftswunder. Nicht so Straffer, denn er beobachtet dies alles mit Skepsis, ist aber irgendwie erneut oder weiterhin stolz auf seine Landsleute, die fleißig sind und immer wieder aufstehen. Doch er selbst lebt mit seiner Familie in kargen Verhältnissen. Er erwartet einen persönlichen Lebenswandel, denn er denkt, bald wird er erkannt, bald erfolgt seine Bestrafung. Er war unter Hitler ein skrupelloser SS-General. Sein damaliges Netzwerk funktioniert noch heute. Man deckt und schützt sich weiterhin und bleibt verborgen. Reue ist für fast alle ein Fremdgefühl, denn sie waren doch nur Befehlsempfänger.

Nach vielen einsamen Nächten wird ein junger Mann sein Kollege. Ein Jude aus Tel Aviv, der in Deutschland den Mörder seines Onkels sucht. Ein damaliger Lagerkommandant soll sterben. Straffer ahnt, die Stunde der Bestrafungen naht. Das bisher keiner gehandelt hat, sie, die Täter, ungestraft Karriere machen konnten und unerkannt ein gutes Leben führen können, irritiert und verunsichert ihn gleichermaßen.

Ein beklemmendes, aber genauso wichtiges Buch, das uns die Sprachlosigkeit gegenüber der Vergangenheit förmlich ins Gesicht schreit.

Vielen Dank, dass ich das Manuskript vorab lesen durfte und auf der Rückseite des Buches zitiert werde.

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