Stefan Moster: „Bin das noch ich“

Was passiert, wenn man seine Rolle im Leben verliert, seiner Begabung oder Berufung nicht mehr nachgehen kann? Wenn das, was einen im Leben auszumachen scheint, nicht mehr greifbar ist, verliert sich dadurch die Persönlichkeit?

Stefan Moster ist Übersetzer und Schriftsteller. Die finnischen Werke, die er übersetzt und seine eigenen Romane haben stets den Rang von Weltliteratur. Sein neuer Roman erzählt still und sehr einfühlsam die Selbstfindung eines Künstlers. Dabei spielen die Musik und der natürliche Klangraum eine große Rolle. Moster versteht es, die Natur und ihre Klänge, besonders den Vogelgesang, der klassischen Musik gegenüberzustellen, zu verbinden und wörtlich einzufangen. Der Roman begeistert durch die Vielfältigkeit, die sich ganz still entfaltet. Das Wissen, das Moster hat und einzubinden versteht, setzt für sein lesendes Publikum keine Vorkenntnisse voraus. Ein großer Roman, der Moster spätestens jetzt mit an die Spitze der deutschen Gegenwartsliteratur setzt.

Simon ist leidenschaftlicher Berufsmusiker. Ein Violinist, der nicht die ganz großen Erfolge feiert. Aber er ist dennoch so gut, dass er für Konzertreisen als Solo- oder als Orchestermusiker weltweit gebucht wird. Er kennt seine kunstvollen Grenzen. Diese zeigte ihm eine heutige Stargeigerin, der er in Folge des Romans schreiben wird. Die Pandemie hat seine Welt ins Stocken und in Gefahr gebracht. Doch jetzt scheint endlich wieder vieles möglich zu sein und mit Kollegen ist er für einige Kammerkonzerte gebucht. Auf einer Sommertournee in Finnland kommt es zu einem Vorfall, der ihn aus der Bahn wirft. Lange hat er es verdrängt und den Schmerz überspielt. Auf dieser Konzertreise möchte er seiner Agentin und dem Publikum etwas beweisen und durch die Musik zu einem besonderen Erlebnis einladen. Er wählt ein Werk von Bach, um danach etwas von Bartók zu spielen, das das Thema des vorherigen Stückes aufgreift. In der anspruchsvollen Musik wählt der Komponist wohl auch seine zukünftigen Interpreten durch die Komplexität mit aus. Doch was passiert, wenn das Können verloren geht? So verbindet sich das Werk, das Leben von Bartók mit der Situation von Simon. Er kann nicht mehr greifen, seine Hand versagt beim Geigenspiel. Er bricht das Konzert ab und muss nun befürchten, dass seine musikalische Laufbahn beendet ist. Eine Freundin und Mitmusikerin lädt ihn ein, ihre Insel zu besuchen. Sie überlässt ihm für eine Woche ihre kleine Hütte auf einer Schäreninsel, damit er zur Ruhe und zu sich finden kann. Die ersten Tage verbringt er ruhelos, denn er ist ganz in seiner Misere gefangen und von der Außenwelt abgeschnitten, denn sein Ladekabel für sein Handy ist weg. Doch jeden Tag verbringt er mehr in und mit der Natur. Die Vogelwelt zeigt ihm ihre orchestrale Macht und er lernt hinzuhören und sich neu kennen. Aus der einen Woche werden mehr und er beginnt zu reflektieren und sich neu zusammenzusetzen.

Die existentielle Selbstreflexion ist eine literarische Reise, die gerade die Musik erklingen lässt, die in der Stille erwacht. Der Raum zwischen den angespielten Tönen steigert sich und der Resonanzkörper wächst. Ein großer Roman über die Auseinandersetzung mit der Identität, dem Können und der Berufung.

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