Frank Göhre: „Harter Fall“

Erneut ist es ein cineastisches Erlebnis, den neuen Roman von Frank Göhre zu lesen. Man inhaliert diesen förmlich, denn die Krimis von Göhre leben von ihrer Schnittigkeit. Die Handlung baut sich durch die kurzen Szenen schnell auf und die Stimmungen und Charaktere werden punktuell erfasst und werden mit jedem Szenenwechsel immer spürbarer und plastischer. Frank Göhre erhält viel Anerkennung und ist auch ein Meister des Noir-Krimis. Durch seine Romane tauchen wir stets ein in die Schattenwelten unserer Gesellschaft. Meist direkt vor unserer eigenen Haustür. Trotz der Düsternis in seiner Literatur ist es immer eine Freude, diese zu lesen. Ein kurzweiliger Trip mit schwarzem Humor und einem charmanten und eigenwilligen Drive. Die Menschen in der Göhre-Welt sind nicht für das Glück geschaffen. In seinem neuen Werk „Harter Fall“ werden wir in zwei Welten katapultiert. Vom Hamburger Kiez nach Jamaika. Beide geprägt durch die Bilder unserer Vorstellungen. Erneut lebt das Buch durch den Klang. Es ist der Klang der Sprache, der Menschengruppen und der Musik. Die Musikclubs auf der Reeperbahn mit ihren schummrigen und dunklen Ecken sind der Ausgangspunkt. Aus Jamaika stammt der Reggae. Diese rhythmische Musik vermischt Tanz mit Politik und ist somit Sinnbild dieses Romans.

Jedes Kapitel beginnt mit einer Szenenbeschreibung aus dem Kultfilm „The Harder They Come“. Ein jamaikanischer Kinofilm des Regisseurs Perry Henzell aus dem Jahr 1972. Ein Rock-Reggae-Film, der als einer der Wegbereiter des Reggaes für ein internationales Publikum angesehen wird. Hierbei vermischt sich ebenfalls Geschichte mit Musik und Politik.

Es beginnt 1978 in Dänemark. Ein siebzehnjähriges Mädchen macht sich auf den Weg zu ihrem neuen Freund. Sie ist verliebt und will zu ihm nach Flensburg und fährt per Anhalterin in den Süden. 1978/79 kam es im Winter zu der großen Schneekatastrophe in Norddeutschland. Beim Tauwetter wird In Hamburg ein unbekanntes Mädchen tot aufgefunden. Drei junge Männer träumen von der Freiheit. Der Film, „The Harder They Come“, den sie gerade im Kino gesehen haben, hat sie animiert. Sie möchten Jamaika erleben. Sie wollen die Wurzeln des Reggaes erspüren. Die Schwester des einen bleibt in Hamburg, sie erlebt das Kiez-Milieu und die Clubs im Wandel des Jahrzehnts und des Umbruchs.

Die Szenen sind kurz wie Filmschnitte und alles steht miteinander in Bezug. Die Jamaika-Reise und die Geschichte in Hamburg, die der Daheimgebliebenen und die Ermittlungen um die tote Dänin. Alles ist im Privaten, wird aber immer mehr politisch. Freundschaften waren keine oder werden gebrochen und die Kluft in der Individualität und in der Gesellschaft wird immer deutlicher. Schuld trifft auf Sehnsucht nach einer besseren Welt. Doch gibt es meist nur Dunkelheit und Kälte. Zumindest in diesem großartigen Noir-Krimi. Ich bitte um Verzeihung, aber dieser Satz wollte hinaus: Was für eine Göre, der Göhre!

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