René Fülöp-Miller: „Die Nacht der Zeiten“

Dieser Leseschatz wurde tatsächlich ausgegraben und ist ein literarisches Ereignis. Sprachlich und inhaltlich überzeugt das Werk und ist nun erstmalig in der deutschen Originalfassung erhältlich. Es ist ein Roman, wenn nicht sogar der Roman, über den Krieg. Ein Antikriegsroman, der vieles in den Schatten stellt. Hierbei vermischen sich die Zeiten, die Orte und die Charaktere und durch das tatsächliche Fehlen des historischen Bezuges ist der Text sehr aktuell. Phantastischer Realismus zieht ein in die individuellen Betrachtungen des Kampfes und in den Weg dorthin.

René Fülöp-Miller lebte 1891 bis 1963 und ist mehr für seine Sachbücher als durch seine Romane bekannt. Er schrieb, auch als er bereits in Amerika lebte, stets in deutscher Sprache. Dieser Roman erschien 1955 somit vorerst nur in der amerikanischen Übersetzung (The Night of Time). Stefan Weidle hat das Originalmanuskript gesucht und gefunden und mit Rolf Bulang, der auch das Nachwort geschrieben hat, herausgegeben.

Die literarische Qualität zeigt sich durch die Sprache und die Kunst, die Natur und das Leben lebendig werden zu lassen. Das Leben findet sich hierbei aber stets in der Umkehr. Das Tödliche, Verderbliche wuchert beständig aus dem Lebendigen. Am Anfang ist es ein Marsch. Dies erinnert an „Die rote Tapferkeitsmedaille“ von Stephen Crane. René Fülöp-Miller hat selbst den Krieg erlebt und viele der Antikriegsromane gelesen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sein Schaffen sich zu Erich Maria Remarque, Heinrich Böll und Stephen Crane gesellt. Crane hat in der Literatur zum ersten Mal das Individuum in den Kriegsbewegungen betrachtet und zeigte dies ebenfalls durch anfänglich lange und für die Menschen ermüdende Märsche. Bei Fülöp-Miller kommt dabei Neues hinzu. Er zeigt das Unmenschliche auch durch die immer unpassierbare und fast schon unwirkliche Natur. Die Naturbeschreibungen des Marsches Richtung Turka werden immer beschwerlicher. Durch Matsch, Gestrüpp und Erdlöcher, die neben dem Feindesfeuer lebensgefährlich sind. Die Truppenbewegung geht aus der Sicht des Erzählers zu sehr in die Natur hinein und verlässt dabei, ohne am Kampfesplatz zu sein, bereits das Menschliche. Der Erzähler ist Adam Ember und er ist ein Mensch-Mensch (Adam kommt aus dem Hebräischen und bedeutet Mensch, Ember ist ungarisch und bedeutet auch Mensch) und stapft wörtlich durch den Lehm mit seinen Kameraden. Menschen, die zuweilen eine kleine Bedeutung im Namen tragen. Somit ist auch ein Lemming dabei. Erst ist es einer, dann werden durch die Betrachtung alles Lemminge und wie Lemminge laufen sie dem Kommando hinterher in die Unwegsamkeit, in den Kampf und in den Tod. Wenige überleben den Marsch und die Überlebenden der Einheit erreichen einen Hügel, der lediglich eine Nummer als Namen hat. Diesen sollen sie (wie in dem Antikriegsfilm und Roman „Die Brücke“) unbedingt halten. Adam wird Essensholer, steht dann unnütz herum und wird dann zum Totengräber ernannt. Somit arbeitet Adam erneut mit der Erde und kämpft mit den Lebenden und Toten. Der beschriebene Krieg wirkt anfänglich wie der Erste Weltkrieg, die Schlacht in den Karpaten und doch verlässt die Beschreibung das Zeitliche, Örtliche und verwandelt die Ereignisse zu einem übergeordneten Kampfplatz. Somit wird die Handlung surreal, um das allgemein gültige Grauen zu zeigen. Hierbei ist es immer der Krieg und nicht nur einer. Der Krieg in der Menschheitsgeschichte endete nie und dieser Roman schildert es auf großartige Weise. Die Sinnlosigkeit und die Unmenschlichkeit werden immer lebendiger. Das Werk verdichtet immer mehr seine surrealen-phantastischen Bilder und bringt auch den Witz mit hinein.

Ein herausragendes Werk, das uns die Vergangenheit und Gegenwart des selbstzerstörerischen Menschen aufzeigt. Die Sprache und die Metaphorik laden zum Verweilen in den Zeilen ein. Die Satire gibt dem Tragischen eine angenehme Leichtigkeit.

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “René Fülöp-Miller: „Die Nacht der Zeiten“

  1. Pingback: René Fülöp-Miller – „Die Nacht der Zeiten“ – ZEICHEN & ZEITEN

Hinterlasse einen Kommentar