
Mit „James“ von Percival Everett erhält die amerikanische Literaturgeschichte und Geschichte eine großartige Perspektive hinzu. Die Abenteuer des Huckleberry Finn von Mark Twain sind seit 1884 aus der Weltliteratur nicht wegzudenken und Wegbereiter der kulturellen und individuellen Entwicklung. Huck Finn und Tom Sawyer prägen unser Bild der damaligen Zeit und waren die Schlüsselfiguren der moderneren amerikanischen Literatur. Twain erschuf durch ihre Perspektive eine detailreiche Beschreibung des Lebens am Ufer des Mississippi und verwebte neben den Lausbubengeschichten bissige Beobachtungen und Einblicke in die damaligen Verhältnisse und Ungerechtigkeiten. Es waren Abenteuer voller Leben und Freiheitsdrang. Das Abenteuer von Huckleberry Finn ging sogar noch weiter, als es die vorangestellten mit Tom Sawyer beschrieben. Denn durch den Charakter von Jim wurden der Rassismus und die Sklaverei miteinbezogen.
Percival Everett adaptiert nun diese Abenteuer und erzählt aus der Perspektive vom Jim. Dabei wird durch den Namen, der nicht in der verkürzten Form auftaucht, sondern als Ganzes mit James ausgesprochen wird, die Gewichtung des Werkes verdeutlicht. Denn hier sind die Hauptfiguren der Twain-Welt Kinder. Weiße Kinder, die in einer Umwelt aufwachsen, die herablassend, brutal und besitzergreifend gegenüber den Schwarzen ist. Für Tom und Huck ist James ein typischer Sklave, der ihnen unterlegen ist. Dies ist aus ihrer Sicht nicht böswillig, aber für ihre anfängliche Weltsicht prägend. Doch ist James gebildet und belesen. Er unterrichtet seine Kinder die richtigen Verhaltensweise und in einer besonderen Sprache, die sie alle anwenden, wenn die weißen Herrschaften anwesend sind. Sie gaukeln durch vereinfachtes Vokabular und imitierten Slang eine nicht provozierende Unwissenheit vor. Denn die vermeintlich gebildeten Weißen sind handzahmer, wenn sie sich überlegen fühlen können. Mit diesem Kunstgriff wird das ganze Herrschaftssystem lächerlich gemacht und die Sklaven haben durch ihre Sprache ein Freiheitsgefühl und entziehen sich in kleinen Schritten der Opferhaltung. Das Abenteuer folgt den Twain-Geschichten, doch vieles ist ganz anders. James soll nach New Orleans verkauft werden und er verlässt seine Familie und begibt sich auf die Flucht. Dabei trifft er auf Huck, der seinen Tod vorgetäuscht hat, um seinem prügelnden Vater zu entkommen und somit auch James in weitere Gefahr bringt. Beide fliehen zusammen auf dem Floß über den Mississippi. Zwischendurch trennen sich auch mal ihre Wege und James scheint vorerst darüber nicht ganz böse zu sein. Doch wachsen beide immer mehr zusammen und müssen diverse Abenteuer bestehen. Ein Roman voller spannender Wendungen, der stets kritisch, humorvoll und aus der damaligen Zeit unsere Gegenwart einholt.
Der Roman lebt von der Perspektive und den Sprachklängen. Eine begeisternde Rückkehr in die Welten von Twain in einem ganz anderen Gewand. Es ist ein Ruf nach Freiheit durch die damalige Geschichte und der klassischen amerikanischen Literatur, die hierbei eine neue und bleibende Facette erhält. Übersetzt wurde der Roman aus dem Englischen von Nikolaus Stingl.
Zum Buch in unserem Onlineshop
Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV