Zara Zerbe: „Phytopia Plus“

In diesem Roman verknüpft sich die moderne Technologie mit der Natur. Hier wird das Digitale mit der Pflanzenwelt kompatibel gemacht und greift somit durch das menschliche Bewusstsein in die Fauna ein. Ferner begibt sich der Roman in eine zukünftige Möglichkeit, die durch die Phantasie und den Sprachklang eine Realität erschafft, die uns gegenwärtige Fragen stellt. Sozial- und Gesellschaftskritisches durchwächst die ganze Handlung. Mit Wissen, Humor und Tiefgang reflektiert Zara Zerbe die Themen unserer Zeit und wirft sie in nicht allzu weite Ferne. In knappen Szenen und Sätzen entwirft Zerbe eine Welt, die unsere Gegenwart in eine Verlängerung stellt. Die Umwelt und das Gesellschaftliche haben sich verändert. Wenn das Leben und das Sterben zu teuer werden, wie soll das Überleben bezahlt werden? Zumindest wurde in Zerbes Vision der Fortbestand des Bewusstseins gesichert. Sofern es finanzierbar ist.  Es wird Zeit für eine persönliche Umpflanzung.

Der Kapitalismus beherrscht das Leben in den Siedlungen und das Überleben sieht in den 2040er Jahren nicht sehr positiv aus. Die Wirtschaft und die Klimakrise bestimmen die Wahrnehmung des Alltags. Aylin liebt Pflanzen und arbeitet als Aushilfsgärtnerin der Hamburger Droste AG. Doch werden in den Gewächshäusern keine gewöhnlichen Pflanzen gehegt und gepflegt. Der Biotech-Konzern hat ein Verfahren entwickelt, das das Bewusstsein digitalisiert und in Pflanzen speichert. Doch ist dieses Verfahren lediglich den Besserverdienenden vorbehalten. Das neue Pflanzenbewusstsein erklingt ebenfalls in kurzen Sequenzen und erfreut sich am Dasein, bangt vor Insekten oder ist verwundert durch Beschnitt.  Aylin lebt unter ärmeren Bedingungen und kann lediglich davon träumen das Bewusstsein ihres Großvaters in einer Pflanzen-DNA speichern zu lassen. Gerne arbeitet sie in den Gewächshäusern für sich und dabei fällt ihr ein auffälliges Wachstum eines ihrer Schützlinge auf. Eine Speicherpflanze wächst schnell und weist ungewöhnliche Muster auf. Beim angeordneten Umtopfen kann Aylin sich einen Ableger organisieren und aus dem Firmenkomplex schmuggeln. Sie betreibt einen Tauschhandel, Pflanzen gegen Lebensmittel, beziehungsweise beginnt auf dem Schwarzmarkt Profit aus ihren Setzlingen zu schlagen.

Der Roman spielt mit Welten, die uns fern und doch sehr nah sind. Hier trifft Botanik auf Informatik und Bewusstseinserhalt auf den alltäglichen Lebenskampf. Mit Leichtigkeit und dem dazugehörigen Fachwissen spielt der Roman mit der Vielschichtigkeit der Realität und der phantastischen Science-Fiction. Das Werk erinnert an „Koryphäen“ von Gudrun Büchler. In dem Roman von Büchler endet der Mensch nicht bei seinen Konturen und verbindet sich digital sowie psychisch stets mit seinem Umfeld. Dabei entsteht ein Netzwerk aus grenzenlosem Bewusstsein und eines der Zentren ist ein Gummibaum. In Büchlers Werk verlieren sich die Bewusstseinskonturen, die Zerbe mit ihrem Werk geerdeter einpflanzt.

Dies ist ein Debütroman einer Autorin, die in der literarischen Welt keine Unbekannte ist. Zara Zerbe lebt als Schriftstellerin und Netzkünstlerin in Kiel. Sie ist Mitherausgeberin des Magazins für Literatur „Der Schnipsel“ und veranstaltet die Lesebühne FederKiel. Ihre Erzählung „Limbus“ wurde mit dem Preis „Neue Prosa Schleswig-Holstein“ 2018 / 2019 ausgezeichnet. „Phytopia Plus“ ist ein herrlicher Aufruf, der durch die literarische Dichte, die Kreativität und die Stilvermischung zu begeistern versteht.

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