Nona Fernández: „Twilight Zone“

Ein erschütternder Roman über die politische und menschliche Brutalität während der Pinochet-Diktatur in Chile. Das Leben und die Realität erscheinen mit den Folterverbrechen und Hinrichtungen als Hintergrund surreal. Als würde man tatsächlich eine „Twilight Zone“ betreten. Das Buch öffnet diese Tür: „Sie betreten nun eine unbekannte Welt aus Träumen und Gedanken. Sie betreten die unbekannte Dimension.“ Der Hinweis auf die Fernsehserie erfolgt nicht nur im Titel, sondern der filmische Bezug zu den unbekannten Dimensionen wird hier stets zur politischen Entwicklung gesetzt. Nona Fernández begeisterte bereits mit „Die Toten im trüben Wasser des Mapocho“ und „Die Straße zum 10. Juli“. In den Büchern geht es um viel: die chilenische Geschichte, die Verbrechen der Vergangenheit und wirtschaftliche Korruptheit. Die Werke von Nona Fernández mahnen gegen das Vergessen. Die Romane sind stets sehr lebendig und packend geschrieben, so dass man sich dem Grauen selten entziehen kann. Durch „Twilight Zone“ wird leider bewusst, wie schnell Menschen zu Monstern werden können und dass es leider selten Graubereiche gibt, denn hier ist die Distanz zwischen Gut und Böse enorm und der Bereich dazwischen kann nur als Wurmloch zu den jeweils unbekannten Dimensionen gesehen werden.

Die Erzählerin ist noch jung, als sie das Titelblatt der „Cauce“ sieht. Abgebildet ist Andrés Antonio Valenzuela Morales, der gegenüber der Zeitungsjournalistin seine Taten gestanden hat: „Ich habe gefoltert“. Das Geständnis des Geheimagenten und seine Mitschuld an den Verbrechen des Regimes, beschäftigen die Erzählerin, die Jahre später anfängt zu recherchieren. Sie grenzt ab zwischen ihrer Vorstellungskraft und den tatsächlichen Ereignissen. Einiges stellt sie sich bildhaft vor, anderes muss sie sich im Laufe nicht mehr vorstellen und die schlimmen Verbrechen werden immer deutlicher. Die Einzelschicksale berühren, verstören und erzeugen eine wütende Verzweiflung. Das Regime hat unzählige Menschen inhaftiert, gefoltert und ermordet. Die Leichen haben sie meist unkenntlich verschwinden lassen. Das Geständnis setzte eine Bewegung frei, die Chile für immer veränderte. Doch was waren es für Menschen, die verschwanden? Wie konnten Menschen so weit gehen und so brutal werden? Wie viele Gesichter kann ein Mensch nur haben?

Die historische Realität erschüttert und wirkt tatsächlich nun gelesen wie ein Gruselroman aus der Twilight Zone. Die Aufarbeitung erfolgte grotesk, denn hierbei waren, wie beim Wiederaufbau, die Täter mitbeteiligt. Nona Fernández verdichtet ihre Literatur mit Wahrheit und Fiktion und schreibt eine Mahnung im Hinblick jeglicher Diktatur und autoritärer Systeme. Die Polarität des Alltags, des Lebens und der menschenverachtenden Verbrechen paralysieren uns beim Lesen. Ein bestürzendes Werk, das wichtig ist und stets dann die Realität verlässt, wenn das individuelle Empfinden an der letzten Grenze angelangt ist. Nona Fernández vermischt Literatur mit essayistischer und autofiktionaler Aufarbeitung und hinterlässt ein wichtiges und lesenswertes Buch. Aus dem chilenischen Spanisch wurde der Roman von Friederike von Criegern übersetzt.

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