Alles beginnt mit einem wiedergefundenen Zeitungsartikel. Juan und Greta kennen sich, seitdem sie Schüler waren. Sie wuchsen während der Pinochet-Diktatur in Chile auf und waren davon als Jugendliche betroffen, da sich auch das Schulsystem im Umbruch befand. Beide gehörten einer Gruppe linker Jugendlicher an, die damals das Gymnasium besetzten und auf dem Dach der Schule rebellierten. Diese kleine Revolution wurde seitens der Polizei aufgehoben und sie wurden länger festgehalten und verhört. Nicht alle wurden daraufhin wieder den Eltern übergeben. Das Verschwinden ist das Hauptthema dieses spannenden, literarischen Romans von Nona Fernández, der im chilenisch-spanischen Original aus dem Jahr 2007 stammt und erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt.
Der Roman spielt mit wechselnden Perspektiven und Ansichten. Wir lernen am Anfang Juan kennen, der mit Maite verheiratet ist. Maite will keine Kinder, da sie fürchtet nach dem Mutterschutz durch eine Finte ihres Arbeitgebers entlassen zu werden. Eines Tages bricht Juan aus seiner arbeitsintensiven Welt aus. Er ist dem Stress nicht mehr gewachsen und tritt im wahrsten Sinne auf die Bremse und verlässt das Alltägliche. Maite verlässt ihn daraufhin und Juan versinkt in seiner depressiven Welt. Ihm bleibt lediglich sein Hund, Dalí, der ihn besser zu verstehen scheint als viele aus seinem Umfeld. Das Wohnviertel, in dem Juan lebt, wird geräumt, da dort ein Einkaufszentrum entstehen soll. Der Bauherr, Lobos, setzt Juan mehrfach unter Druck, ebenfalls sein Haus zu verkaufen. Doch in Juan wird jener Rebell der vergangenen Tage wach. Die Erinnerung an seine Vergangenheit wird durch einen alten Zeitungsartikel wachgerufen. Ferner tritt Carmen in sein Leben, die ihm Versicherungen verkaufen möchte. Sie weiß von Lobos Machenschaften und kennt auch den Termin der anrückenden Baumaschinen. Ebenfalls sind in ihrer Kundenkartei Maite und Greta.
Gretas Familie wurde ebenfalls auseinandergerissen. Durch einen tragischen Schulbusunfall kam ihre Tochter ums Leben. Sie und ihr Mann konnten den Verlust ihres Kindes nicht verkraften und trennten sich. Der Mann, der sich mit Alkohol betäubte, ist in der Gegenwart der Geschichte mit Maite zusammen und somit schließt sich einer der Kreise. Gleich Juan versinkt Greta in eine depressive Haltung und ist ständig auf der Suche nach Antworten. Sie verweigert sich dem sozialen Leben und beginnt, gegen das Vergessen anzugehen. Immer wieder geht sie zum Ersatzteilkönig in der „Straße zum 10. Juli“. Sie hat einen alten, defekten Schulbus erstanden, für den sie nun passende Ersatzteile sucht, um ihn wieder fahrtüchtig zu machen und fast originalgetreu nachzubauen. Durch Carmen, die Versicherungsagentin, hört sie nach Jahren wieder von ihrer Jugendliebe Juan. Nun hat ihre rastlose Suche ein neues Ziel, denn Juan ist plötzlich verschwunden. Zuletzt hat man ihn bei ihrer alten Schule gesehen, die nun ebenfalls abgerissen werden soll. Greta beginnt, ihn zu suchen und es zieht sie in sein Haus, das weiterhin als einziges Gebäude den Abrissplänen trotzt. Ihre Suche wird auch ein Erinnern an die damalige Zeit, als ihre Freunde Leo und Negro nie aus dem Polizeigewahrsam wiedergekehrt sind. Sie findet Juans Recherche über die Colonia Dignidad. Ist er deswegen verschwunden? Haben die wirtschaftlichen Interessen, vertreten durch Lobos, mit seinem Verschwinden zu tun? Maite, die von Gretas Exmann schwanger ist, taucht dann auch noch plötzlich auf. Hat sich Juan in seiner Depression selbst etwas angetan? Schafft es Greta, Juan zu finden oder können sie Kontakt zueinander herstellen?
Im Buch geht es um viel: die chilenische Geschichte, die Verbrechen der Vergangenheit und wirtschaftliche Korruptheit. Das Buch mahnt gegen das Vergessen und zeigt besonders seine Stärke in der Schilderung der verschwundenen und missbrauchten Kinder während der Diktatur. Alles im Buch ist miteinander verwoben und bezieht sich auf einander. Es gibt kein Einzelschicksal, das sich von der Handlung der Anderen oder von der Vergangenheit befreien konnte. Auch die Toten spielen bei Nona Fernández immer wieder eine Rolle…
Der Roman wird besonders lebendig durch die wechselnden Perspektiven und entfaltetet dadurch seinen ganzen Spannungsbogen, der bis zum Ende gehalten wird und man fiebert bis zum Ende mit, was tatsächlich mit Juan geschehen ist.