Anšlavs Eglītis: „Schwäbisches Capriccio“

Den Begriff Capriccio kennen wir aus der Kunst, hauptsächlich aus der Musik. Es ist eine launische oder scherzhafte Übertreibung. Diese Kunstform stülpt nun Anšlavs Eglītis über Schwaben, wo er seinen Protagonisten, Pēteris Drusts, stranden lässt. Es ist ein tragisch-komischer Episodenroman, der Verbindungen zum Erlebten von Anšlavs Eglītis herstellt.

Anšlavs Eglītis nutzte seine eigene Geschichte als Vorlage für den Roman. 1906 wurde er in einem künstlerischen Umfeld in Riga geboren. Er und seine Frau Veronika Janelsiņa, eine Künstlerin, flohen 1944 vor der der Roten Armee nach Deutschland. 1952 emigrierten sie weiter in die Vereinigten Staaten. Seine Zeit in Deutschland dient als Vorlage für diesen bitteren, aber auch sehr humorvollen Roman, der sich durch seine Episoden zu einem gesellschaftlichen Panorama aufbaut.

Pēteris Drusts, flieht, im Gegensatz zu dem Autor, allein. Aus dem ausgebombten Berlin reist der lettische Flüchtling weiter mit der Bahn. Nach einer längeren Zugfahrt, die aus endlosem Warten, überfüllten Waggons und langen Nächten bestand, hat der Zug die größeren Städte hinter sich gelassen. Aus einem unbestimmten Impuls stolpert er an einer Station aus der Bahn und nimmt einen kleineren Zug am Gleis gegenüber und steigt mitten in der Nacht spontan in der Ortschaft Pfifferlingen auf der Schwäbischen Alb aus. Ein Gespräch hat ihn veranlasst zu überdenken, wo er mitten in der kalten Nacht bleiben soll. Ihm werden drei Herbergen genannt, aus denen er eine aus Sympathie zum Namen erwählt. Das Dorf scheint in einer anderen Zeit verweilt zu haben. Doch die Betrachtungen bleiben nicht konstant, denn das Dörfliche hat in dem Roman ab und zu etwas Industrielles zu bieten. Der Name ist ganz fiktiv und stellt nur die Kulisse für die literarische Studie dar. Eigentlich wollte er hier nur Tage bleiben und es werden Jahre. Die Menschen erscheinen anfänglich aus seiner Sicht konturlos zu sein. Er stellt am Anfang beschämt fest, dass er nicht mit einem Mann, sondern mit einer Frau gesprochen hatte. Alle sehen ähnlich aus und die Nachnamen sind auf wenige begrenzt. Es kennen sich alle, mal mehr oder weniger gut, sobald man die Tätigkeit des Mannes erfährt. Pēteris Drusts lebt sich ein, kann am Anfang auch die Menschen für sich gewinnen. Zum Beispiel auch den Bürgermeister für den Erhalt der Essensmarken oder der Aufenthaltsgenehmigung. Das Dorf spiegelt in den aufeinanderfolgenden Episoden das ganze menschliche Miteinander auf skurrile Weise. Es gibt die Gier, den Eigennutz und die schwäbische Abscheu gegen Verschwendung. Geheizt wird zum Beispiel nicht und somit zeigt sich beim Atmen und Sprechen in den Stuben der weiße Dampf. Der Umgang mit der Nazizeit und das Leben während der Nachkriegszeit werden im Roman menschlich und dörflich betrachtet und zu einem unterhaltsamen Capriccio verwandelt.

Eine wunderbarer Schatz, den Sebastian Guggolz hiermit verlegt hat. Auch die Entstehungsgeschichte der Übersetzung ist spannend. Diese ist im sehr lesenswerten Nachwort von Berthold Forssman zu lesen, der das Werk aus dem Lettischen übersetzt hat.

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