Elizabeth Heichelbech: „Chopin in Kentucky“

Was wäre, wenn das Leben ein Erzählballett wäre? Für die Erzählerin könnte es eins werden und wir folgen ihr unglaublich gerne bei ihren ersten Tanzschritten. Ein wunderbares und witziges Buch, das die wahre Freundschaft und die Wirkungskraft der Imagination zelebriert.

Roanville, Kentucky 1977 und das Leben von Marie Higginbottom verändert sich, als das Ballett aus Paris in die Kleinstadt, in dem es neben dem örtlichen Einzelhändler der Kette Kmart sehr wenig zu erleben gibt, kommt. Die zehnjährige Marie verschluckt sich förmlich, als ihr Vater am Abendbrottisch das kulturelle Ereignis verkündet. Doch ist es nicht das Ballettensemble aus der französischen Kulturmetropole, sondern es ist eine Tanzgruppe aus Paris, Kentucky. Doch minimiert dies die Freude der kleinen Marie nur geringfügig.

Marie träumt von der großen Karriere als Tänzerin und sie möchte raus aus der Kleinstadt und weg von der Familie. Ihre Liebe zur Musik wird von ihrem besten Freund unterstützt und begleitet. Er ist immer dabei, beim Einkauf, beim Flanieren im Ort und bei den mitmenschlichen Begegnungen. Ihr Freund ist sehr eingenommen von  sich und leider bereits tot, denn es ist Frédéric Chopin. Dieser imaginäre Freund ist sehr real und kommentiert stets die Ereignisse, steht Marie aber immer treu zur Seite. Da er in einem hinterwäldlerischen Ort in Kentucky gelandet ist, kann er den Wunsch von Marie, dort zu entkommen und ihr Leben der Kultur zu widmen, nur gutheißen. Die Familie leidet unter dem am Kopf verletzten Vater, der seine Wutausbrüche an den Kindern, die sich oft selbst überlassen sind, auslässt. Die Wohnung ist marode, verschimmelt und das kulturelle Leben findet meist im Fernsehzimmer statt. Marie hält an ihren Traum fest auch wenn die Mutter in ihr weniger eine Ballerina sieht als eine echte Ingalls aus der Fernsehserie „Unsere kleine Farm“. Das fehlende Tutu kann ihre Leidenschaft aber niemals bremsen und sie hält an ihrem Traum fest. Neben dem genialen Komponisten, der leider tot ist und auch ab und zu nerven kann, lernt Marie noch eine sehr lebendige Freundin kennen. Misty McPherson, die auf ihre große Entdeckung als erstes weibliches Kinder-Elvis-Double wartet.

Ein Wirbeltanz einer Jugend in den Siebzigern voller Musik, Humor und facettenreichen Charakteren. Alles aus Kindesaugen und die Weltsicht wechselt zwischen kleinstädtischer Kulisse und geistvoller Kunst. So sind auch die Weggefährten nicht zwingend echt, denn der beste Freund der Heldin ist Chopin. Neben diesem virtuosen Musiker bespielen auch Jesus und Elvis, als weibliches Imitat, die Tanzfläche. Diese schillernden Figuren bringen alles zum Glänzen und wir strahlen mit. Denn wir werden süchtig nach diesem melancholischen Witz, der sich in jeder Szene findet. Wir lachen laut und schmunzeln leise in dieser irren Reise durch das irdische Kentucky. Letztendlich ist es die Kunst, die uns alle zu retten vermag und in der Imagination kann im Provinziellen alles beginnen oder möglich werden. Zumindest der Lebensanfang dieser Traumtänzerin, von der wir nicht genug erlesen möchten. Ein tolles, ein verrücktes Buch.

Ich durfte das Buch bereits beim Übersetzungsvorgang als Manuskript lesen. Übersetzt wurde es aus dem amerikanischen Englisch von Lena Riebl und ich werde in der Verlagsvorschau zitiert. Vielen Dank!

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