Willi Achten: „Die Einmaligkeit des Lebens“

Der Roman dreht sich um Raumforderungen. Im Landschaftsbau, in der zwischenmenschlichen Beziehung, als medizinische Diagnose und in der eigenen Psyche. Willi Achten stellt erneut sein feines Gespür für seine Figurenentwicklung unter Beweis. Die Nahbarkeit der Charaktere fesselt sofort und wir werden von Anfang an von den Protagonisten und der Handlung in Bann gezogen. Der deutschsprachige Lyriker und Autor verwebt in „Die Einmaligkeit des Lebens“ die Themen, die ihn mit allen seinen Werken umtreiben. Es geht um zwei Brüder, deren Geschichte auf zwei Zeitebenen beschrieben wird. Es sind Simon und Vinzenz. Ihr Heranwachsen und die Brüderlichkeit werden im Jahr 1988 um das Osterfest erlebbar gemacht. Immer ist es Vinzenz, der dem Erzähler, Simon, stets aus der Bredouille helfen kann. 2017 sind sie erneut vereint, um doch den Abschied einzuleiten. Die Faszination des Textes sind der Sog und der Wirbel, der um die Protagonisten erzeugt wird. Der Roman hat eine Leichtigkeit und ist doch schwere Kost. So verhält es sich auch mit der Handlung und den Szenen, die voller Licht, Schönheit sind und dann von Trauer und dunklen Schatten bedroht werden. Der Roman lebt von der Zuversicht und der beständigen Hoffnung auf mögliche Lösungen und Besserungen. Leben und Tod bedingen einander und beim Erkennen entsteht ein ganz neuer Raum.

Im Teenageralter sind sie stets vereint. Vinzenz ist immer gegenwärtig, wenn Simon ihn benötigt. Es beginnt mit der Judasfigur eines Altars in einer Kapelle. Es ist die Osterwoche 1988 und durch eine Ungeschicklichkeit bricht Simon jene Figur aus dem Schnitzaltar. Simon verheddert sich gerne in Missgeschicke. Gegenüber der Bank hat er die Unterschrift gefälscht, auf einer Party verstreuen sie im wilden Tanz Asche von Hinterbliebenen. Somit ist es eine Zeit voller Schuld, Ängste und Ärger. Stets ist es Vinzenz, der mit einer Lebensleichtigkeit und Raffinesse jedes Hindernis zu beseitigen versucht. Durch die Reparatur des Altars wird er auch in Folge Restaurator werden, während Simon den Hof der Eltern übernehmen wird. Die Dorfgemeinschaft steht zu oder hält gegen die Jungs. Alles ist sehr fromm und reglementiert. Doch gibt es Ausflüchte und Freiräume, die es zu erkennen und zu erobern gilt. Besonders die Liebe zu Martha darf für Simon nicht scheitern. Diese Erlebnisse lassen die Brüder noch mehr zusammenwachsen. Aus der Ferne haben diese damaligen Probleme eine Leichtigkeit, die im Gegensatz zu den gegenwärtigen Problemen eher zum Schmunzeln anregen. Der Roman springt in den Zeitebenen und 2017 kehrt Vinzenz auf den Obsthof nach Kirschrath zurück, den jetzt Simon bewirtschaftet. Doch Vinzenz ist anders. Er ist unkonzentriert, ungeschickt und sehr oft gereizt. Simon beginnt, sich Sorgen zu machen. Auch um den Hof, denn der Kohleabbau fordert immer mehr Raum und die meisten aus der Gegend haben die Angebote angenommen und sind bereits weggezogen. Simon verharrt und ignoriert die Schreiben und verdrängt das Unabwendbare. Vinzenz Zustand wird schlimmer und die Diagnose der Raumforderung im Kopf schmettert beide zu Boden. Nun ist es Vinzenz, der von seinem Bruder Hilfe benötigt.  

Das Wechselspiel zwischen der Teenagerzeit mit seiner Leichtigkeit und dem kleinen Schattenspiel und dem späteren, sorgenvolleren Alltag, erzeugt einen spannenden und empathischen Leserausch. Die Probleme und die Sorgen wachsen im Laufe des Lebens. Der kindliche Beistand kehrt sich hier im Roman um und erhält eine enorme Intensität. Neben der Trauer hat das Buch etwas ungemein Tröstliches und Positives. Es wirkt erlebt und ist wohl, in Bezug auf die Erlebnisse des Autors, sein persönlichstes Werk. Neben der Entwicklungsgeschichte baut Achten sein beständiges Umweltthema gekonnt ein. Ein leicht zugänglicher Roman, der eine große Tiefe aufbaut und unsere Lebensphilosophie beleuchtet.  

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “Willi Achten: „Die Einmaligkeit des Lebens“

Hinterlasse eine Antwort zu Der Bücheratlas von Martin Oehlen und Petra Pluwatsch Antwort abbrechen