
Ein feiner, makabrer Sommerspaß. Als würde Pulp Fiction Literatur, denn dieser Roman, der aus szenenhaften Miniaturen besteht, stellt alles auf den Kopf, versucht es zumindest. Das vermeintlich Triviale ist nur gespielt, denn viel gibt es hier zu finden und in einem ganz lakonischen Ton entzündet sich am Anfang eine Zündschnur an einer Explosion und wir ahnen noch nicht, was diese Feuerlunte noch anzurichten vermag. Tobias Premper bezeichnet sich als Grenzgänger und so ist auch sein Schaffen zu verstehen. Im Leseschatz ist er bereits durch „Gelati! Gelati!“ aufgefallen. Er ist ein Meister des Kleinen, das sich aufbaut und dann das Versteckte sichtbar werden lässt. Mit Tempo und Witz hat er erneut einen zündigen Sommerhit gelandet.
Ein Berliner Ehepaar fährt über das Wochenende aufs Land. Ein Testament verspricht Millionen. Beide hintergehen und betrügen den Lebenspartner. Wollen das Geld und dann denn anderen verlassen, am besten gänzlich beseitigen. Menschen, die sich nahe sind, aber ihre Distanz gehörig erweitert haben. Ihr Wochenendausflug gerät aus den Fugen. Mit dem Fortgang der Handlung spielen der Erzähler und sein Autor mit den Gattungen und Möglichkeiten der Literatur. Es wird auch nach Auswegen gesucht. Dabei wird gehupt, gestritten, geprügelt und es wachsen weitere Gedanken. Nichts wird fokussiert und doch wird alles belichtet.
Wissenswert ist, dass der Roman durch den Film von Jean-Luc Godard „Week End“ inspiriert wurde. Doch ist die Kenntnis des Films für das Verständnis nicht erforderlich. Der Roman kann somit als eine literarische Cover-Version angesehen werden. In beiden macht sich ein Ehepaar mit ihrem Auto auf den Weg, um ein Testament zu empfangen. Auf der Fahrt geraten sie in einen Stau und Unfall und begegnen diversen Menschen. Darunter Wegelagerern, Möchtegern-Philosophen, Verrückten und Kannibalen. Auf einer Autofahrt endet der Sommer und das Leben strudelt in einen Alptraum. Das Buch transportiert die Handlung von Frankreich nach Deutschland. Es bedient sich auch nicht nur der filmischen Handlung, sondern schweift ab, macht Schnitte und der Erzähler greift ein.
Der Roman hat 103 Kapitel und diese sind kleine Miniszenen. Gleich am Anfang fährt ein Ferrari Cabrio mit einer lachenden Frau und einem Mann durch eine luxuriöse Gegend. Das Leben in diesem Viertel ist herrlich, glücklich und ein bisschen dämlich. Gerade als eine Hummel erneut und bräsig gegen eine Fensterscheibe fliegt, explodiert eine Bombe im Auto ohne ersichtlichen Grund. Dies ist der Einstieg, der das Kommende schon einschließt. Denn es bleibt ruppig, absurd und komisch-poetisch. Denn dieses Buch geht nicht Seite für Seite voran, sondern cineastisch Minute um Minute. Die Kapitel enden im offenen Satz, um dann im folgenden Kapitel diesen aufzugreifen. Dadurch ergeben sich Anschlussfehler und Zeitsprünge, die mit uns spielen. Der Witz und das Lesetempo erhöhen sich durch die fettgedruckten Textfragmente, die einseitig zum Beispiel das Wochenende feiern. In diesem Roman bleibt nichts beständig. Dies ist auch der Hauptkern der Handlung. Auch die Hauptfiguren, verändern sich namentlich. Darauf weist uns aber der Erzähler persönlich hin.
Eine Autoreise, die an Tempo zunimmt und uns warmen, heißen und nicht gerade geruchsneutralen Wind ins Gehirn bläst. Ein aberwitziges Spiel, das uns spiegelt und Hoffnung schenkt. Eine Hoffnung, die aber auch eine Abzweigung ins Nirgendwo machen könnte.
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