Isabella Straub: „Nullzone”

Unsere komplexe Welt schrumpft und wandert gegen Null. Doch die Null, die mathematisch für den Ausgleich zwischen Plus und Minus steht, also für Nichts, ist philosophisch der Punkt, der alles beinhaltet. Unsere aktuelle Welt pendelt durch unsere hochgelobte Gegenwart zwischen Nullen und Einsen. Der Differenzraum ist die Unendlichkeit. Doch was ist diese? Das Unendliche dehnt sich aus, hat kein Ende. Wie ein Donut, der uns laut diesem Werk das Universum gut erklärt. Wir können unendlich lang in eine Richtung laufen und kommen nie ans Ende. Dies klingt nach einem Hamsterrad oder erinnert an die Werke und Visionen von Larry Niven. Isabella Straub macht daraus einen überwitzigen Roman, der das Jetzt beleuchtet und eine kluge, pointierte Satire ist.

Wo bleibt unsere Menschlichkeit, wenn der Lebensraum immer beengter und reglementierter wird? Haben wir als Individuum ohne Image oder Nutzen für die Allgemeinheit ein Recht auf Lebensraum? In diesem witzigen und doch zugespitzten Gegenwartroman prallen unterschiedliche Lebensweisen aufeinander. Dabei liebt einer der Protagonisten besonders  die vollendete Zukunft. Doch ist diese eine Vision, die kommen könnte, und hoffentlich, weil sie im Kommenden liegt, noch abwandelbar ist, trotz der grammatischen Vollendung.

Dieser Roman hat einen enormen Drive und fesselt durch die Kurzweil, die in ihrem Witz vieles aus unserer Gegenwart verdreht, betrachtet und zugespitzt in Frage stellt. Die Nullzone ist ein moderner Lebensraum und hier treffen wir auf eine Hausmeisterin, einen Zukunftsforscher und einen Paketboten. In der Mitte steht der Kratzer, der Wolkenkratzer, dessen Umgebung umgebaut werden soll, aber nun durch die aktuellen Baumaßnahmen im Umfeld in Schieflage geraten ist. Soziales Wohnen trifft auf Modernisierungen und auf die Anforderungen der Gesellschaft und wird finanziert mit Wunsch auf Gewinnoptimierung. Somit werden die Menschen im Kratzer mit der Zwangsräumung bedroht.

Elfi betreibt schon in Folgegeneration den Posten der Hausmeisterin des Hochhauses. Sie verteilt und bestimmt die Zuteilung der Waschmünzen und sorgt für die ordentliche Müllbeseitigung, Rattenbekämpfung und nun auch um die Sammelliste gegen den Abbau und die Räumung. Ihr Sohn ist von einer Weltreise niemals zurückgekehrt und doch meint sie ihn auf einem Foto erkannt zu haben. Ist dies möglich? Denn es ist das Bild, das mit einem Satelliten auf dem Weg ist, um fremdes Leben zu finden. Gabor, ein Zukunftsforscher gerät in eine Lebenskrise. Seine gesundheitlichen Werte sind nicht zum Besten bestellt und seine Lebenspartnerin möchte in jene Nullzone ziehen. Wohnwaben, die mit der künstlichen Intelligenz erzeugt und bestückt sind. Gegossene Betonwohnungen, die fast schon an einen Insektoiden-Lebensraum erinnern. Dann ist da noch Rachid, der als Paketzusteller große Träume hat und den Auszubildenden in seinen Businessplan einbezieht. Drohnen sollen die Flut an Bestellungen ohne menschlichen Kontakt zustellen, als würde die Sendung sich vor dem Empfänger aus Zauberhand materialisieren. Doch auch ihre Wünsche haben Grenzen und hadern mit der menschlichen Endlichkeit, die zuweilen erst beim Wasserlassen gegen Baumaschinen empfunden werden kann.

Trotz der ganzen Ironie hat das Buch etwas sehr Kritisches und Menschliches. Was erzeugen wir, wenn wir nur noch digital denken oder bestellen? Was passiert mit unseren Lebensräumen, wenn das Leben selbst immer teurer und Wohnen ein Luxus wird?

Dieser Roman ist ein frecher Donut, der sich schnell inhalieren lässt und wohlige Zeiten verspricht. Doch die Verdauung kann humorvoll sein, aber auch ihre Zeit beanspruchen. „Nulllzone“ ist ein aberwitziger Roman.

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2 Kommentare

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2 Antworten zu “Isabella Straub: „Nullzone”

  1. Schöne Rezension. Macht direkt neugierig

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