Julia R. Kelly: „Das Geschenk des Meeres“

Macht das Meer uns Geschenke oder kann uns das unbändige Gewässer etwas wegnehmen und wiederbringen? Zumindest ist das Meer stets ein Sehnsuchtsort jeweils mit dem Blick vom Wasser zum Land und vom Festland zur offenen Weite. Immer wieder reisen wir an diese Grenze und Übergänge, um uns wohl selbst ein bisschen mehr zu finden. Sofern wir nicht persönlich an der Küste stehen, versteht es die Literatur, uns immer wieder dahin zu platzieren. So auch dieser Leseschatz „Das Geschenk des Meeres“ von Julia R. Kelly. Der Roman ist auch ein feines Geschenk und trug im Original den Titel „The Fisherman’s Gift“ und liegt nun in der Übersetzung von Claudia Feldmann vor.

Eine Ortschaft in Schottland im Jahr 1900 wird der Schauplatz der Ereignisse. Etwas Mystisches scheint sich zugetragen zu haben. Doch wissen alle, dass es nicht sein kann. Dabei zeigt sich das menschliche Miteinander indem alle übereinander, aber nicht miteinander reden. Der Roman belebt eine Stimmung, die uns in Raum und Zeit versetzt und unsere Emotionen durchspült.

Verschiedene Perspektiven und Zeiten bereichern die Handlung auf der kleinen Fischerinsel. Es beginnt mit dem Fischer Joseph. Er kennt das Wasser und hat ein Gespür für das Wetter. Ein Sturm zieht auf und er scheint einer der alten zu sein, die dies in den Wolken lesen können. Aber er schweigt, denn warum sollte er reden. Er schweigt auch, weil er sich immer noch die Frage stellt, was die anderen damals getan hatten, als ihm der Sturm etwas nahm. Der jetzige Sturm bringt etwas. Ein lebloser Junge wird an die Küste geschwemmt, Joseph findet ihn und trägt ihn ins Dorf. Durch sein Auftreten richten sich alle Blicke auf ihn mit dem Jungen in den Armen. Der Blick ist stets auf den Jungen gerichtet, kann es sein? Fast märchenhaft wirkt es. Damals, vor langer Zeit ging der Sohn von Dorothy ans Meer und verschwand. Der angespülte Junge sieht ihm ähnlich und doch kann er es nicht sein, denn er wäre ja kein Kind mehr. Joseph trägt ihn an den neugierigen und ungläubigen Blicken vorbei zum Pfarrhaus. Doch hier kann der Junge nicht bleiben und ausgerechnet Dorothy nimmt dann das rätselhafte Kind bei sich auf, bis alles geklärt ist. Die Geschichte klärt sich langsam auf und stellt doch Rätsel, die aus der Vergangenheit kommen. Was war mit Dorothy und Joseph damals, wo ist ihre Liebe und warum war Joseph am Strand, als erneut das Meer in die Schicksale eingriff? 

Durch Rückblicke und den jetzigen Verlauf baut sich die ganze emotionale Geschichte auf. Ein schönes, ergreifendes Buch über Verlust, Liebe und Zusammenhalt. Es ist der Debütroman von Julia R. Kelly, der bereits für einige Preise angedacht war und ausgezeichnet wurde. Hervorzuheben ist auch die Buchgestaltung mit dem Holzschnitt von Franziska Neubert als Titelmotiv, das die Stimmung des Inhalts gut andeutet.

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