Milena Michiko Flašar: „Der Hase im Mond“

Milena Michiko Flašar erschafft Buchwunder und schreibt eigentlich die Geschichten, die sie uns erzählen möchte, immer weiter fort. In ihren Werken geht es stets um Vereinsamung, Auflösung, Verlust und Veränderung.

Nach ihren wunderbaren Werken „Ich nannte ihn Krawatte“, „Herr Kato spielt Familie“ und „Oben Erde, unten Himmel“ hat sie ein Buch herausgebracht, das Geschichten beinhaltet. Es sind Erzählungen aus Japan und Milena Michiko Flašar vertieft damit ihren literarischen und kulturellen Bezug zu Japan und geht weiter, als sie es mit ihren vorherigen Romanen tat. In ihren Werken erzählt sie dabei die Geschichten über Hikikomori, also dem gesellschaftlichen Rückzug, von Familiensystemen und unserer Rolle in der Gesellschaft. Sie schafft einen Gedankenraum um Kodokushi, dem einsamen Tod und über die gegenüberliegende Lebensenergie. Ihre jetzigen Geschichten verlassen dezent die Bodenhaftigkeit und verlieren sich in der für Japan typischen Metaphorik des phantastischen Realismus, die auch zum Beispiel Murakami spielend beherrscht. Diese Sammlung an Geschichten begeistert, verwundert und lässt uns mit Herz und Verstand unser Umfeld ganz neu betrachten. Milena Michiko Flašar zeigt in der Kürze ihr ganzes Können, ihr Mitgefühl und lässt uns am Wunder der Literatur teilhaben. Ihre Sprache ist schön, verspielt und setzt der Melancholie stets den Humor gegenüber. Ihre Betrachtungen tanzen um Wünsche, Sehnsüchte und um die Flüchtigkeit des Seins. Dieses Buch verbindet alles, was Milena Michiko Flašar sagen möchte und uns fühlen lässt. Ein großartiges Werk.

Wir treffen auf einen Autor, der seine Geschichte erzählt. Sein Erfolg war plötzlich da. Wie seine Liebe, die ihn inspirierte. Eine Frau, die einem Fuchs ähnelte und dann verschwand. Seine Suche beflügelt das spätere Werk. Das Wilde in uns, das wir zu bändigen versuchen, belebt die Titelgeschichte. Es ist jene Kraft, die im Verborgenen lauert und meist ungesehen ihre Wirkung zeigt. Doch wenn sie gesehen und zugelassen wird, ist das Tor zur anderen Seite des Mondes geöffnet. Ein Mann, der sein Glück kaum fassen kann, denn er war stets in der Mittelschicht und seine Leistungen immer mittelmäßig. Doch durch das Auftreten des Schwiegervaters ändert sich subtil einiges. Unsere Spiegelung kann für uns lebendig werden, wenn wir vergessen unser eigenes Leben zu sehen. Ein Paar, das ständig seine Trennung plant, kommt nicht dazu, weil sie im Haus gegenüber ihr eigenes Leben beobachten. Der idyllische Traum von einem Leben in einer Hütte in einem Grashügel kann sich umwandeln und Fragen aufwerfen, wer tatsächlich jenen Traum hatte und eine Liebe ins Leere verlaufen ließ? Die Gefühlswelt lebt in diesen Geschichten und umspült uns, wie eine der Figuren, die im medialen Nachklang eines Tsunami versinkt. Das Leben besteht aus so unterschiedlichen Facetten und diese können nicht einfach nur in Hell oder Dunkel erfasst werden. Milena Michiko Flašar erspürt die Vielfältigkeit und verwandelt diese in japanische Geschichten, die aber auch den europäischen Blick einbinden und auch das hiesige Grauen der Menschenvernichtung während des Holocaust mit einbeziehen. Dennoch sind alle Geschichten voller Leben und das ganze Buch bereichert unsere eigene Lebenssicht.

Die Handschrift und die Weise, wie Milena Michiko Flašar erzählt, ist einzigartig, gleicht sich aber immer mehr der japanischen Literatur an und erschafft, um in ihrem Bild aus einer der Geschichten zu bleiben, eine Masse an wunderbaren Erinnerungen. Sie erweitert ihren bisherigen literarischen Horizont durch eine surreale-real-phantastische Erzählebene. Ein Buch, das uns verweilen lässt in poetischen Bildern und Klängen und uns diverse Gedanken zum weiteren Betrachten hinterlässt.

Zum Buch in unserem Onlineshop

Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV

Ein Kommentar

Eingeordnet unter Erlesenes

Eine Antwort zu “Milena Michiko Flašar: „Der Hase im Mond“

  1. Avatar von Maria Maria

    Lieber Hauke, auch ich habe vor kurzem das Genie von Milena Flašar für mich entdeckt, als ich das großartige „Ich nannte ihn Krawatte“ las. Kannst du vielleicht Bücher empfehlen, die eine ähnliche Thematik/Tonalität haben wie die von Flašar? Ich vertraue deiner Expertise. Liebe Grüße Maria

Hinterlasse eine Antwort zu Maria Antwort abbrechen