
Ein neuer Roman von Mieko Kawakami. Die Autorin sucht literarische Zufluchtsorte. Sie verbindet Gesellschaftskritik mit Spannungsmomenten. Nach ihren Erfolgen „Heaven“ und „Brüste und Eier“ beschreibt sie erneut einen vermeintlichen Schutzraum für ihre Protagonisten. Ein Roman, der beim Lesen viele Gefühlsausbrüche und Gedankenmodelle heraufbeschwört. Durch die wachsende Empathie wird das Werk zu einer emotionalen Fahrt, die von jungen Menschen berichtet, die stoisch das Erdulden für sich akzeptieren. Besonders in Japan ist der Erfolg von großer Bedeutung und das Statussymbol prägend für das Individuelle in der Gesellschaft. Verliert sich das Ansehen in der Armut, der Orientierungslosigkeit und der Berufslosigkeit, wird das Menschliche Immer weiter an den Rand gedrängt. In dieser Handlung landet die gesellschaftliche Randgruppe in einem gelben Haus. Gelb ist in Japan eine sehr positive Farbe. Sie ist das Licht der Sonne und steht für Mut, Fröhlichkeit, Erfolg und Zuversicht. Die Farben haben einen gesellschaftlichen und kulturellen Einfluss und sind, wie vieles in der japanischen Kultur, voller emotionaler Symbolik. Die Selbstbestimmung ist im Roman eines der zentralen Themen. Sind wir als Individuum im sozialen Umfeld in der Lage, das Leben zu führen, für das wir uns einst entschieden oder das wir uns gewünscht hatten?
Die Erzählerin, Hana, erinnert sich. Sie meinte, ihre damalige Geschichte niemals vergessen zu können. Doch blenden wir das Negative oft und schnell aus und verstecken vergangene Emotionen im Unterbewusstsein. Hana hat alles verdrängt, vergessen und wird sich dessen bei einem Zeitungsbericht bewusst. In Tokyo wird ein Prozess geführt, in dem eine sechzigjährige Frau mit dem Namen Kimiko Yoshikawa beschuldigt wird, eine jüngere Frau über viele Monate in ihrer Wohnung festgehalten zu haben. Die Anklageschrift beruft sich auf Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung. Hana ist zufällig auf diesen Artikel gestoßen und muss den Text mehrfach lesen, um zu begreifen und zu verstehen. Die angeklagte, Kimiko ist für Hana keine Unbekannte. Es ist die Frau, mit der sie vor ungefähr zwei Jahrzehnten, als sie noch jung war, einige Jahre zusammen wohnte. Sie aktiviert ihr altes Handy, um die damaligen Kontakte aufzurufen. Doch stößt sie dabei auf Ablehnung.
Als sie jung war, träumte sie von einem besseren Leben. Ihre Mutter ist dabei keine gute Unterstützung. Sie leben in einer bescheidenen Unterkunft und sind räumlich und gesellschaftlich im Randbezirk einquartiert. Die Schulkameraden meiden Hana und machen über sie gerne Witze. Die Mutter hat wechselnde Lebenspartner und ist auch oft einfach weg und vergisst ihre Sorgfaltspflicht. Plötzlich ist Kimiko da. Sie sorgt sich um das Kind. Doch ist es anfänglich ebenfalls eine Flüchtigkeit. Die ältere Kimiko verschafft Hana im Umfeld etwas Respekt und versorgt sie. Innerhalb der stockenden Wirtschaftslage in Japan findet Hana eine Wahlfamilie und erhascht die Hoffnung auf Freiheit und Sicherheit. Doch zeigt sich innerhalb der neuen Gruppe auch schnell, dass sich diese vermeintliche Freiheit nicht ehrlich finanzieren und halten lässt. Hana rutscht in eine Parallelwelt, die sie jetzt, als sie sich an die Zeit erinnert, fast verdrängt hatte. Damals ist viel passiert, das sie jetzt kaum noch wahrhaben möchte und Schuldgefühle überrollen sie. Doch welche Möglichkeiten hatte sie damals, welchen Einfluss übte das Umfeld auf sie aus?
Gibt es den tatsächlichen freien Willen und wo bleibt die Menschlichkeit, wenn das einfache Leben immer unbezahlbarer wird?
Ein neuer, bewegender Roman von Mieko Kawakami, der aus dem Japanischen von Katja Busson übersetzt wurde.
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