
Nach seinem Debütroman „Nacht ohne Morgen“ hat Benoit d`Halluin mit „Ein Schrei im Ozean“ einen weiteren, raffinierten, spannenden und tiefgründigen Roman geschrieben. Aus drei Perspektiven baut sich ein Gesamtwerk über Liebe, Lebensentscheidungen und den skrupellosen Methoden auf hoher See auf. Die Handlung basiert auf Dokumenten, die der Autor sammeln konnte. Es sind Zeugenaussagen und Berichte. Benoit d`Halluin wollte über das Leid der Ozeane schreiben. Über jene Dramen, die sich unterhalb des Meeresspiegels und auf der Oberfläche der See abspielen. Der Schrecken der modernen Sklaverei steht dabei im Mittelpunkt, aber auch die Wege der Liebe, die sich voneinander abhängig machen können oder in der gewährten Freiheit ihre Bindung finden.
Die Stimmen sind Arun, Oliver und Sophie. Arun und Oliver sind ein Paar und Sophie ist die Schwester von Oliver, die seit Jahren wegen Streitigkeiten keinen Kontakt mehr zu ihrem Bruder hat. Arun ist Kambodschaner und lebt seit Jahren bei Oliver in Paris. Oliver ist besessen von Karriere und verlangt sich und seinem Umfeld viel ab. Dabei ist es eine Fassade, die er damals bereits als Kind gelernt hatte aufzubauen. Er möchte gefallen und es besonders seiner Mutter beweisen. Ihre Eltern trennten sich damals und teilten die Geschwister untereinander auf. Es ist Sophie, die in Rückblicken die ganze Geschichte aus ihrer Perspektive ergänzt. Schon zu Kindeszeiten gab es ein großes Drama, das die Kinder zeichnete. Arun, der in das luxuriöse Leben durch Oliver eintaucht, gewöhnt sich an dessen Launen und ordnet sich unter. Doch ist er glücklich? Auf einer gemeinsamen Reise nach Pattaya, an die Golfküste Thailands kommt es zu einem Streit zwischen Oliver und Arun. Oliver nimmt sich stets seine Freiheiten und ist in er Beziehung nie treu. Arun besuchte im Urlaub seine Eltern, die nicht weit weg leben und danach eskaliert die Stimmung. Arun beendet die Beziehung, da er nicht glücklich ist. Er bricht den Kontakt ab, verschwindet und nach der letzten Textnachricht blockiert er Oliver auf seinem Handy. Arun wankt traurig und im Gefühlschaos in eine gut besuchte Bar im Fischerhafen. Dort meint er einen Exfreund zu sehen, doch ist es ein Fremder, der ihn auch gleich zu einem Drink einlädt. Daraufhin verschwimmt alles, die Gespräche, die Wahrnehmung und das Bewusstsein. Arun wacht später auf, ihm wird Wasser gereicht und er dämmert wieder weg. Als er dann erwacht ist er in einer Kabine auf einem Fischerboot. Seine Kleidung, sein Handy und sein Ausweis sind weg.
Oliver versucht noch während des Urlaubs Arun zu finden und besucht dessen Exfreund. Dieser bestärkt nur die Sicht auf das Ungleichgewicht der Beziehung und sagt, er wüsste, das Arun schön länger an eine Trennung dachte. Oliver kehrt zurück nach Paris und verliert durch den Verlust und den Schmerz den Halt in seinem Leben. Tagebücher von Arun bestärken ihn, an Arun festzuhalten und ihn weiter zu suchen, denn hat Arun wirklich verschwinden wollen?
In diesem Roman ist das Meer immer gegenwärtig. Die modernen Machenschaften auf See kommen zum Tragen und auch die Konflikte zwischen den Thunfischfängern der Île d’Yeu und den spanischen Fischern. Ebenso jene Praktiken der Sklaverei und des Menschenraubes auf hoher See.
Ein aufwühlendes Werk, das wie die beschriebene Meereslandschaft alle Verfärbungen und Erscheinungsformen annimmt. Der Roman baut sich schichtweise und durch kurze Kapitel auf, die aus den unterschiedlichen Perspektiven erzählen und durch Sophie auch weiter in die Vergangenheit gehen. Das Buch ist unglaublich spannend, klug komponiert und spricht viele ungewöhnliche und bisher unausgesprochene Themen an. Aus dem Französischen wurde der Roman von Paul Sourzac übersetzt. Das gesamte Buch ist ein Kunstwerk durch die für den Verlag typische und aufwendige Gestaltung, Haptik und Bindung.
Zum Buch in unserem Onlineshop
Weitere Lesetipps von mir und tolle Gäste auf YouTube: Leseschatz-TV