
Mit Hermann Hesse beginnt für viele das Entdecken der Weltliteratur. Er hat nicht wegzudenkende Klassiker hinterlassen und ist wohl einer der bekanntesten Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine Werke prägten eine ganze Jugend und fesseln oder ordnen weiterhin das individuelle Chaos im persönlichen Erwachen. Sein Weltruhm ist unbestritten und doch konnte er sich auch ganz anders zeigen. Sechs Jahre nach dem Erscheinen von „Demian“ und drei nach seiner buddhistischen Bibel „Siddharta“ verfasste er „Kurgast“. In diesem Werk fixierte er seine Erlebnisse im schweizerischen Kurort Baden an der Limmat. Kein anderes Werk von Hesse ist humorvoller. Seine persönliche Überempfindlichkeit sieht er vorerst bei den andern Mitpatienten. Er taucht als zynischer Beobachter auf, der sich als erhaben über die anderen Kurgäste empfindet und dann doch erkennt, dass er selbst einer dieser Menschen ist und er beginnt über sich selbst zu lachen. Die häufigsten Leiden in diesem Kurort sind Gicht, Rheumatismus und Ischias. Auch Hesse leidet mit und er ahnt nach diesem Aufenthalt wohl noch nicht, dass er ein beständiger Kurgast im Leben werden wird.
Hesse hat den jetzigen „Kurgast“ als „Psychologia Balnearia“ selbst veröffentlicht. Seine Niederschrift wurde später offiziell verlegt und fand seine Bewunderer. Auch Thomas Mann, der etwas später mit seinem Zauberberg etwas Ähnliches und doch etwas ganz anderes erschuf, lobte es. Wir lernen Hesse auf eine unbekanntere, humoristische und selbstironische Weise kennen.
Heute, hundert Jahre nach dem Buchjubiläum, gibt es eine ganz besondere und wunderbare Neuausgabe des Werkes. Der Text basiert auf der damaligen Drucklegung, aber die besondere Aufmachung und Gestaltung ist ein Kunstwerk wie bei der Edition Officina Ludi üblich. Die Schweizer Künstlerin, Karin Widmer hat das Buch illustriert. Sie ist die Urenkelin des Dichters und ihre Feder- und Aquarellzeichnungen sind durch den Stil der 1920er Jahre geprägt. Sie hat sich als Grafikerin einen Namen machen können und wirkt auch als Gerichtszeichnerin. Dieser Stil ist in den Bildern unverkennbar. Die Bilder im Buch wirken wie kunstvolle Schnappschüsse und sie fängt die von Hesse geschilderten Situationen gelungen auf und vertieft das Scherzhafte und Leichte. Somit kann Hesse ganz persönlich und neu erfahren werden. Das Szenario und Hesse werden toll porträtiert. Hesses Erscheinung reicht vom gebückten und schmerzgepeinigten Mann, saloppen Autor bis zum Bademantel tragenden Kurgast. Es sind aber über 50 Farbzeichnungen und der ganze Umfang wird sehr gesellig dargestellt. Die Direktorin des Hesse-Museums in Montagnola, Regina Bucher, rundet mit ihrem Nachwort die gesamte unterhaltsame Lektüre ab.
Das Buch ist eine wunderbare Einladung, Hesse erneut in sein Leben einzuladen und eine ganz neuen Blick auf ihn und eventuell auch auf sein Schaffen zu bekommen.
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Ein hübsches Büchlein. Und danke fürs Erinnern an diese wirklich ganz andere Hesse-Werk!